Mittwoch, April 26, 2006

Heimat für Querdenkende

Immer wieder von neuem staune ich über die unglaubliche Kreativität, die in dieser Stadt vorhanden scheint. Weit mehr unkonventionelles Denken scheint hier möglich. Vieles ist noch im Bau - die unzähligen und omnipräsenten Baustellen zeugen davon - und darum noch nicht ganz so festgelegt und strukturiert wie in der Schweiz.
Diese Stadt scheint Kreative und Andersdenkende geradezu anzuziehen: Ein Mitstudent von mir vertreibt sich die Zeit an der Uni, weil er eigentlich auf die Zusage der Filmakademie wartet, ein schwedisches Künstlerpaar, das ich in einer Zen-Meditations-Einführung getroffen habe, schreibt, zeichnet und vertont ein Märchenbuch und suchen gezielt die Inspiration dieser Stadt für ein paar Monate. Ein weiterer neuer Bekannter, Kai, studiert seit vielen Semestern, plant eine Veröffentlichung eines DDR-Rundfunkarchivs und hat mich zu seinem Theater "Die Menschenfabrik" eingeladen. Eine Schriftstellerin, die ich schon auf der Hinreise im CityNightLine getroffen habe, lebt schon seit vielen Jahren in Berlin. An Ampelpfosten und in Stadtmagazinen findet man eine erstaunliche Anzahl Anzeigen, die noch Willige für ihre alternativen Wohnprojekte suchen (gemeinsame Kindererziehung, veganische WG, Familienhäuser, queere Kommunen).
Viele Ideen, viel Geist, viel Lust auf Ungewöhnliches. Aber kein Geld.
Täglich ist das klaffende Milliarden-Defizit der Stadt Berlin in den Zeitungen. Die Arbeitslosigkeit ist - im Vergleich zum übrigen Deutschland - sehr hoch. Und doch scheinen viele zufriedener. Auch wenn sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten und davon träumen, mal einen ganz tollen Film zu machen.
Man ist versucht zu folgern: je mehr Kultur, desto weniger Geld.
Zürich würde als kulturelle Geldmetropole sofort widersprechen wollen. Und doch brodelt und blüht die Berliner Subkultur schon vielfältiger. Kultur ist subventionierbar. Not macht aber wohl doch eine Spur erfinderischer.