Sonntag, August 27, 2006

Altar neuzeitlicher Alltagssorgen

Meine groupie-hafte Anbetung der subversiven Tätigkeiten der Berliner Zentralen Intelligenz Agentur (ZIA) und der sich personell überlappenden Riesenmaschine dürfte einigen nicht entgangen sein. Nun sind die Agenten und Riesenmaschinistinnen selbst ins Priester- und Anbetungsbusiness eingestiegen. Ihr soeben am Poetenfest Erlangen vorgestellter Altar bietet mit einem umfassenden Götterpantheon endlich eine polytheistische Fülle in der klaffenden spirituellen Leere alltäglicher Sorgen, mit denen besonders urbane Menschen der Neuzeit allein gelassen werden.
Persönlich bin ich sehr erleichtert, dass es jetzt nicht mehr bloss weltliche ZIA-Gottheiten der satirisch-tiefgründigen Textproduktion, absurder kultureller Unterhaltungsformate und Neuer Medien-Kunst anzuhimmeln gibt, sondern zusätzlich auch ein Altar für scheinbar banale Probleme wie z.B. die menschliche Kopfbedeckung bereitgestellt wurde.

Den „Gott der Kontrolle über die eigenen Haare“ habe ich bereits angefleht, in Zukunft bitte nicht nur Haarseifen in Supermärkte zu zaubern, die dafür sorgen, Menschen mit Wünschen nach mehr haarigem Volumen zufriedenzustellen, sondern auch seifige Gegenmittel für Häupter, die mit Haarsträhnen allzu üppig ausgestattet sind. Zudem wünschte ich mir jährlich drei Haarjoker, mit denen man an besonders wichtigen Tagen eine unliebsame Frisur neutralisieren kann. Falls meine Wünsche in Erfüllung gehen, habe ich versprochen, auch nie wieder die abgelutschte Wendung „bad hair day“ zu benützen.

Der Riesenmaschine-Altar beherbergt auch den „Gott der vergessenen Passwörter und der gnädigen Amnesie“. Wer zu diesem zwiespältigen Gott des Vergessens und des Ent-Lernens betet, kann darauf hoffen, dass endlich bloss die unwichtigen Informationen dem Verdrängungsmechanismus zum Opfer fallen. Der „Gott der unterhaltsamen Ereignislosigkeit“ ist Schutzpatron aller Blogger, die eigentlich nichts zu sagen haben, aber immerhin das Nichts sprachlich schön verpacken. Vielleicht erbarmt sich ja irgendwann eine Göttin der Bloggerinnen und der notorisch-nervig auf einer möglichst geschlechtergerechten Sprache Beharrenden.

Der „Gott der zu spät gehabten Idee“ ist zuständig für schlagfertige Antworten, die einem erst Stunden später einfallen. Leider wurde dieser Gott aber auf Grund eines zu späten Einfalls erst nachträglich hinzugefügt, und deshalb wird bei vollbrachtem Gebet zu dieser Gottheit auch keine Lampe aufleuchten. Alle anderen Götter mögen den Anbetenden nicht unbedingt zur Erleuchtung verhelfen, werden aber – dem Pantheon der Technikgötter sei Dank! - tatsächlich bei Erhalt des Gebets am Originalaltar selbst erleuchtet.
Amen!

Freitag, August 25, 2006

Baumhaus an der Mauer



Mein Nachbar Jan hat mir kürzlich eine Kuriosität bei uns in der Nähe gezeigt: Das Baumhaus an der Mauer.
Es liegt ungefähr auf halber Höhe der Köpenicker Straße. Diese verlief vor 1989 etwa zur Hälfte entlang der Berliner Mauer und war durch diese zusätzlich halbiert - der nordwestliche Teil lag im sowjetischen Sektor, unser Abschnitt gerade noch in Westberlin.
Direkt an der Mauer im Westteil (siehe roter Punkt auf der Karte) hatte sich Osman Kalin zu Mauerzeiten beim Bethaniendamm einen Zwiebelgarten angelegt, ohne dass die Westberliner Behörden hätten einschreiten können. Der Fall beschäftigte sogar das Ostberliner Zentralkomitee. Obwohl nämlich das Grundstück im Westen lag, gehörte das Territorium noch zum Staatsgebiet der DDR. Um an der Mauer zu sparen, hatte man kurzerhand ihren Verlauf begradigt, und so lag ein Stück DDR jenseits der Mauer im Westteil.

Kurz nach der Wende hat sich Osman Kalin da eine improvisierte Bretterbude als Gartenhaus zusammengezimmert und einen Baum geschickt ins Haus integriert. Inzwischen wird das "Baumhaus" von Kamerateams und Stadtplanern besichtigt und ist seit zwei Jahren sogar offiziell anerkannt.

Mehr dazu in der Berliner Zeitung und im MieterMagazin.

Bild: flickr/Tommy Blank

Sonntag, August 20, 2006

Nicht ohne OmU ins Kino

Nein, OmU ist weder eine neumodische Bezeichnung für Grossmutter, noch ein in Kreuzworträtseln beliebter flugunfähiger australischer Laufvogel, und auch nicht die französische Abkürzung für die UNO (Organisation des Nations Unies).
OmU ist eine Abkürzung für "Original mit Untertitel". Was in Zürcher Kinos - ausser gerade bei Kinderfilmen - als unumstösslicher Standard gilt, ist in Berlin leider nur auf den allerwenigsten Leinwänden überhaupt im Angebot: Das Privileg, die originale Filmsprache und die echten Stimmen der Schauspielerinnen und Schauspieler zu hören. Nur so ist für eine Schweizer Kinogängerin ein ganzheitliches Kinoerlebnis möglich. Dass viele Deutsche synchronisierte Filme bevorzugen oder sich kaum an Synchronfassungen stören, ist ein gutes Beispiel für interkulturelle Unterschiede zwischen meinem Gast- und meinem Heimatland.
Foto von Kino International an der Berliner Karl-Marx-Allee: Flickr/danii

Mittwoch, August 16, 2006

Hochdeutsch oder Hochdeutsch?

Sage ich Velo oder Fahrrad? Betone ich CD und WM auf der ersten oder der zweiten Silbe? Darf es mich wunder nehmen, oder soll ich mich besser fragen? Benütze ich beim Schreiben das mysteriöse ß? Darf ich meinen Akzent dem in Berlin üblichen Tonfall anpassen oder soll ich "schweizerisch selbstbewusst" tönen (oder doch eher klingen?)?

Das Dilemma zwischen Schweizer Hochdeutsch und deutschem Hochdeutsch ist omnipräsent. Manchmal schäme ich mich für meine für Schweizer Verhältnisse sehr angepasste Aussprache und Redeweise, weil ich weiss, dass sie für viele Schweizer Ohren arrogant klingen würden. Andererseits reden ja die Schwaben und Bayerinnen in Berlin meist auch nicht schwäbisch oder bayrisch, sondern Standardsprache. Sogar Berlinerisch wird in formelleren Situationen und Kreisen tunlichst vermieden.
Warum sollte ich dann, wenn schon nicht richtiges Schweizerdeutsch, nicht gerade so sprechen, damit es möglichst wenig zu erklären gibt? Zum Beispiel was Trottoir und Lavabo bedeuten, dass wir in der Schweiz Nadine und Nathalie wie auch Café und Milchkaffee anders betonen.
Gibt es nicht ohnehin schon genügend interkulturelle Verständigungsprobleme? Zudem möchte man vielleicht auch einfach nicht immer "süüüß" sein, sobald man die Schweizer Lippen auseinanderbewegt.

Genau umgekehrt geht es einem Deutschen in der Schweiz, der seine genauen sprachlichen Beobachtungen auf der Blogwiese festhält. Vor kurzem stellte er sich da die Frage, woher das Deutschlandbild der Schweizer stamme. Er vermutet, es könnte am ungeliebten Deutschunterricht in der Schule liegen, worüber in der Schweiz folgende Aussagen gemacht würden:
  • Der Lehrer hat uns immer korrigiert, wenn wir Deutsch sprachen.
  • Es wurde uns gesagt: „Das lernt ihr nie, überlasst das lieber den Deutschen“.
  • Wir sollten Schweizer-Hochdeutsch sprechen, und nicht den spezifischen Deutschen Tonfall nachahmen.
  • Die Lehrer konnten es selbst nicht richtig und versprühten auch keine grosse Begeisterung für das Hochdeutsche.
  • Hochdeutsch war immer ein „Zwang“ für alle, bei jeder Gelegenheit wurde eine Entschuldigung gesucht und gefunden, jetzt doch plötzlich Mundart reden zu dürfen.
  • Auf Hochdeutsch kann man nicht über Gefühle reden.
  • Und dann treffen diese Schweizer irgendwann ihren ersten echten Deutsche, der mühelos so spricht, wie sie es selbst in der Schule auch mit Anstrengung nicht hinbekommen haben, und dem sie sich sofort argumentativ unterlegen fühlen. Schlussfolgerung: Man ist der aber arrogant! (Quelle: Blogwiese)
    Wer noch nie so gedacht hat, werfe den ersten Stein!

    Es wird wohl immer eine hoch emotionale Angelegenheit bleiben, in welchen Situationen und vor allem wie Schweizer Landsleute Hochdeutsch reden. Die angepasst Redenden werden sich weiterhin etwas schämen für die betont schweizerisch Redenden, die gleichzeitig immer auf ein Schweizer Selbstbewusstsein pochen (was manchmal schon fast wie eine Entschuldigung klingt). Diese wiederum werden auch in Zukunft die angepasst Redenden als etwas gekünstelt und arrogant wahrnehmen.
    Aber ich hoffe doch, dass der in den letzten Jahren mal durch die Schweizer Presse geisternde Vorschlag vom Tisch ist, der noch vor zwei Jahren auf der Frontseite der NZZ am Sonntag stand:

    Braucht die Schweiz mehr Lehrer aus Deutschland?

    Mehr Lehrer aus Deutschland täten Schweizer Schülern gut: Mit dieser Äusserung hat der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, Hans Ulrich Stöckling, zum Wochenende für Aufregung gesorgt.

    Dienstag, August 15, 2006

    Paraden-Stadt Berlin

    Zürich hat letztes Wochenende die Streetparade hinter sich gebracht. Gleichzeitig findet seit 10 Jahren jeweils die Antiparade statt: die politische Variante des Strassentanzfests.
    Auf dem diesjährigen Flyer der Antiparade stand: "10 jahre kampf um die keller, in denen wir unsere musik hören. um die plätze, die noch nicht zubetoniert und mit kameras bestückt worden sind. wo wir uns gerne aufhalten, ohne schräg angeschaut zu werden. oder etwas bestellen zu müssen, wenn wir uns setzen. seid politisch und konsumiert nicht nur. fight for your right to party. friedlich."

    Obwohl es in Zürich sogar einen "Paradeplatz" gibt, ist eher Berlin ein Parade-Beispiel einer Paradenstadt. Kaum ein Anliegen, wofür Berlin nicht der ideale Paradenort wäre. Einige in Berlin stattfindenden Paraden werden hier kurz vorgestellt:

    Die Berlin-Parade fordert mehr Rechte für Skaterinnen und Skater.
    Auf der Website heisst es: "Wir setzen uns für mehr Inline-Skater-Rechte ein. Inline-Skates sind nicht nur Sport- und Freizeitgeräte, sondern auch ein alternatives Fortbewegungsmittel. Wir demonstrieren daher für mehr und bessere Möglichkeiten, Inline-Skates besser in der Stadt einsetzen zu können." (Foto: Berlin-Parade)

    Die Loveparade ist eine jährlich stattfindende Technoparade.
    Die erste Loveparade wurde im Sommer 1989 von Matthias Roeingh alias Dr. Motte initiiert. Von 150 Beteiligten wuchs die Veranstaltung auf ca. 1,5 Millionen Raver im Jahre 1999. Von 2003 bis 2005 war sie nicht mehr die größte Technoveranstaltung der Welt und rangierte nach der Schweizer Streetparade auf Platz zwei. Nach einer Pause in den Jahren 2004 und 2005 fand die Veranstaltung mit abgeändertem Konzept 2006 wieder in Berlin statt.

    Nach dem Wegfall der Loveparade in Berlin 2004 und 2005 wurde eine neue Parade unter dem Namen "Bparade / Berlin Dance Parade" kreiert. "Im Gegensatz zur ehemaligen Loveparade präsentiert die "Bparade" nicht nur Techno-Musik, sondern die gesamte Bandbreite der "elektronischen Musik". B steht für Berlin, einer Parade für Transparenz, Weltoffenheit, Toleranz und das neue, junge Berlin", wie es auf der Website heisst.

    Bekannt ist Berlin natürlich auch für die grosse Christopher Street Day Parade.
    Der Christopher Street Day (CSD) ist ein Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Sympathisierenden. Gefeiert und demonstriert wird für die Rechte dieser Gruppen sowie gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Da der Anlass zunehmend kommerzialisiert wird, findet jeweils ein alternativer CSD statt: der "Kreuzberger CSD". (Bild: Flickr/little_boy1970)

    Am 1. Mai fand die Mayday Parade statt, die ein sehr schönes Strassenfest in Kreuzberg war.
    Die Parade steht "für soziale Rechte weltweit!"

    Ende Juli zog zufällig ein Demonstrationszug mit dem etwas überraschenden Namen Fuckparade an mir vorbei. Protestiert wurde "für einen lebenswerten Kiez durch Berlin-Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain. Gegen den kommerziellen Ausverkauf der Innenstädte durch Investoren und Bürokraten und gegen Drogenhysterie und überzogene Verfolgung und Kriminalisierung von Graffiti-Künstlern."

    An der Folsom Europe wird sich im September Europas Leder-Fetisch-Szene in Berlin der Öffentlichkeit präsentieren.
    Die Folsom Parade wird auch von offizieller Seite unterstützt.



    Ein farbenfrohes Spektakel bietet der Karneval der Kulturen.
    Dieser ist eine multikulturelle Massenveranstaltung in Berlin, die seit 1996 alljährlich um das Pfingstwochenende herum gefeiert wird. Hintergrund ist der Integrationsgedanke und der gewünschte Abbau von Überfremdungsängsten.
    (Bild: Flickr/carovald)



    Unglaublich, aber wahr: 2003 fand in Berlin die 2. Internationale Fiffi-Parade statt.
    "Auf der Fiffi-Parade möchten wir allen auf eine fröhliche Weise zeigen, dass der Hund ein liebenswerter und wichtiger Begleiter in unserem Leben ist und so wieder eine größere Akzeptanz für Hunde und ihre Halter in der Bevölkerung erreichen." (Bild: Flickr/juan23)

    Berlins raue Seite

    Was einen Teil der Romantik dieser Stadt ausmacht, hat auch seine Nachteile: Berlins Rauheit.

    Die beiden Velos (=Fahrräder) waren schon mehrfach in der Reparatur, das eine hatte schon zweimal einen platten Reifen wegen Scherben und Nägeln. Und im Grunde ist es erstaunlich, dass es nicht noch öfter geschehen ist, über so viele Scherben wie ich unvermeidlicherweise regelmässig fahre. Mein leicht blaues Knie und meine Schulter spüren noch schwach den kürzlichen Sturz praktisch vor meiner Haustür. Da bin ich neulich – auch mit Velo – umgefallen wegen Unebenheiten auf dem Trottoir (=Gehweg). Fehlende Pflastersteine, Schlaglöcher und Strassenbeläge, bei deren Anblick sich Wasserwaagen die Haare raufen würden (wenn sie denn welche hätten) sind in Berlin vielerorts eher die Regel als die Ausnahme. Wenn es regnet, verwandeln sich Berlins Strassen plötzlich zu einer Wasserlachenlandschaft und die Autos bespritzen Passantinnen und Passanten wie spielende Gören und Rotzbuben mit dem Gartenschlauch.

    An manchen Tagen liebe ich den raueren Wind der Stadt, den direkteren Umgangston, liebe den Charme des Unsanierten und die kreative Energie des Umbruchs.

    Aber manchmal holt mich die harsch formulierte Bemerkung einer Berliner Schnauze, die Verrückte in der U-Bahn oder die Alkis vor dem Supermarkt, vor allem aber das Stolpern auf der Strasse von der Wolke 7 wieder buchstäblich zurück auf den Boden der Berliner Realität. Das hinterlässt unter Umständen sogar blaue Flecken.
    Bei Regen weiss ich nun auch das Zürcher Abwassersystem um einiges mehr zu schätzen, dessen Ausgeklügeltheit mir bisher entgangen war.

    Freitag, August 11, 2006

    Oh du, mein teures Zürich!

    Auch wenn sie globalisierungskritische, antikorporatistische und bewusst essende Gemüter auf die Palme bringt: Die Fast-Food-Kette McDonald’s hat gerade durch ihre aufdringliche internationale Expansionsfreudigkeit auch ihre Vorteile. Anhand des Sandwichs „BigMac“ zum Beispiel lassen sich nämlich weltweit Preis- und Lohnniveaus leicht vergleichen. Eine Schweizer Grossbank, die hier keine Schleichwerbung verdient hat, gibt jährlich die Studie „Preise und Löhne“ heraus. Darin werden 71 Städte an einem standardisierten Warenkorb, der aus Gütern und Dienstleistungen besteht, gemessen.

    Um sich einen „BigMac“ leisten zu können, muss in Bogotà rund eineinhalb Stunden gearbeitet werden. Im weltweiten Durchschnitt reichen dagegen 35 Minuten Arbeit. In New York beträgt die zu leistende Arbeitszeit für den beliebten Hamburger lediglich 13 Minuten. Obwohl die Bruttolöhne gemessen am Kaufkraftvergleich in schweizerischen und skandinavischen Städten an der Spitze liegen, müssen für einen Biss ins Sandwich in der Schweiz zwischen 15 bis 20 Minuten gearbeitet werden.

    Nicht sehr erstaunlicherweise wurde Zürich insgesamt einmal mehr zu einer der zehn teuersten Metropolen der Welt gekürt. Das wissen auch die meisten Berlinerinnen und Berliner, die mir sagen, dass sie eigentlich auch gern mal nach Zürich fahren möchten. Aber ist es da nicht schweineteuer? Oder sie waren mal da. Und fanden es schön. Aber wahnsinnig teuer.

    Vergessener Weltschmerz

    Wer in Kreuzberg mal in Weltschmerzstimmung kommen sollte
    - vielleicht weil in Berlin der Sand der Sanduhren schneller durchzurieseln scheint als anderswo
    - oder weil man die erste eigene Wohnung bereits wieder zur Weitervermietung ausschreiben muss,
    - daran denken sollte, den mühsam eingerichteten Telefonanschluss wieder abzumelden
    - oder sich freiwillig verpflichtet hat, eine Forschungsarbeit auf Fachartikellänge zu kürzen und den damit verbundenen Aufwand unterschätzt hat
    - oder auch aus sonstigen unerfindlichen Gründen,


    ziehe im Abendlicht die Joggingschuhe an, stecke sich zwei weisse Kopfhörer (andere Farben funktionieren auch, falls es denn die überhaupt noch gibt) in die Ohren und renne durch den Görlitzer Park, dem Landwehrkanal entlang und bis zur Spree. Der Anblick der im goldenen Licht versinkenden Oberbaumbrücke mit dem Fernsehturm dahinter, des glitzernden Wassers und der leuchtenden Molecule Man-Skulptur stimmt garantiert wieder versöhnlich. Die durch die Bewegung freigesetzten Glückshormone und die hörbaren Abschnitte der Atom Heart Mother Suite von Pink Floyd bringen schliesslich die Welt fast wieder ganz in Ordnung.

    oberes Bild: Blick von der Oberbaumbrücke (Guatuso Pics Ltd.)

    Berliner Ahnenforschung

    Einer meiner Berliner Vorfahren hat in der Weimarer Republik und zu Beginn des Dritten Reiches für die deutsche protestantische Kirche eine tragende Rolle gespielt. Mein Ururgrossvater, war damals Präsident des Preußischen Evangelischen Oberkirchenrats. Noch heute befindet sich der "Evangelische Oberkirchenrat" hinter dem Bahnhof Zoo und da hängt auch dieses Porträt von ihm. In diesen Räumlichkeiten haben meine Urgrosseltern geheiratet und eine Weile gewohnt.
    Obwohl mein Urgrossvater Theologe war und dessen Tochter, meine Grossmutter, wiederum einen Pfarrer zum Ehemann genommen hat, bin ich zwar nicht völlig atheistisch, aber ungetauft und konfessionslos geblieben und hatte kaum je Kontakt zu traditionellen kirchlichen Kreisen. So hat es zwar etwas Befremdliches, aber auch Spannendes, sich auf familiären Spuren in Berlin ausgerechnet mit Kirchengeschichte auseinanderzusetzen.

    Das Buch des englischen Kirchenhistorikers Jonathan R. C. Wright gibt unter dem Titel "Über den Parteien" - Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918-1933 einen ausführlichen Einblick ins kirchenpolitische Geschehen jener Zeit. Zum ersten Mal wurde mir auch nach dem kürzlichen Besuch im Deutschen Historischen Museum bewusst, dass die Kirche im Dritten Reich eine spezielle Rolle hatte. Langfristiges Ziel des Nationalsozialismus war die Eindämmung des gesellschaftlichen Einflusses der Kirchen, da Religion der geplanten Durchdringung des Alltags durch die nationalsozialistische Ideologie im Wege stand. Insgesamt hat aber das Nazi-Regime eine widersprüchliche Kirchenpolitik verfolgt.
    Bei Hitlers Machtübernahme spaltete sich die Evangelische Kirche: Die "Deutschen Christen" versuchten die Kirche auf einen mit dem neuen Regime verträglichen Kurs zu bringen, die "Bekennende Kirche" war eine Abspaltung, die sich gegen eine Gleichschaltung von Lehre und Organisation der evangelischen Kirchen mit der Ideologie des Nationalsozialismus wandte. Zahlreiche Geistliche wurden verwarnt, erhielten Redeverbot oder wurden in Haft genommen.
    Gespannt blätterte ich in Wrights Buch "Über den Parteien" und hoffte insgeheim, Hinweise zu finden, dass mein Vorfahre zur Bekennenden Kirche übergetreten sei. Das scheint nicht der Fall gewesen zu sein, genauso wenig wie er den Deutschen Christen beigetreten ist. Gemäss den Darstellungen im Buch war er sich als Präsident zwar der Gefahr des Regimes bewusst, vor allem aber entschlossen, die Unabhängigkeit der Kirche zu sichern. Dabei schreckten die Kirchenführer leider aber auch davor zurück, die missfallenden Seiten des Regimes zu kritisieren.

    Aus heutiger Sicht ist es schwer zu beurteilen, wie man sich selbst im damaligen Terrorregime verhalten hätte. Ob man emigriert wäre, sich unter Lebensgefahr gewehrt hätte, mitgelaufen wäre, um die eigene Haut zu retten?

    Mein Urgrossvater war in seinen letzten Amtsjahren bis ungefähr 1965 als Pfarrer Seelsorger im damaligen Krankenhaus Bethanien (Bild: Wikipedia) in Kreuzberg tätig gewesen. 1971 wurde das vom Abriss bedrohte stillgelegte Krankenhaus besetzt. Heute ist das grosse Gelände beim Mariannenplatz ein Künstlerhaus. 2005 zogen zudem ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner des Hausprojekts Yorck59 in zwei Seitenflügel im Bethanien.

    Im Hof des Künstlerhauses Bethanien zeigt momentan das Freiluftkino Kreuzberg (Bild: Website Freiluftkino) jeden Abend einen Film. An lauschigen Sommerabenden da im Liegestuhl einen Film zu sehen, ist ein wunderbares Abendprogramm.

    Meine Grossmutter schliesslich, die 1931 in Berlin geboren wurde, schrieb mir vor einem Monat in einem Brief:
    "Berlin, wie du es jetzt erlebst, ist natürlich ein ganz neues, anderes als zu meiner Jugendzeit. Bis Kriegsende lebte man überall und nirgendwo, aber von 1945 bis 1955 waren wir sesshaft in Berlin-Steglitz. Die letzten Schuljahre bis zu meinem Abitur waren gezeichnet von beträchtlichem Hunger, von schlecht oder gar nicht geheizten Räumen, vom Anblick einer einzigartigen Trümmerlandschaft, aber auch von eindrücklichen Kunsterlebnissen auf den Bühnen und Konzertpodien."
    Die Vorstellung, ich könnte hier eine Zeitreise machen, meine Grossmutter in ihrer Jugendzeit besuchen, meinem Berliner Ururgrossvater begegnen, ist eine seltsame. Es wäre ein Clash der Kulturen. Eine Verbildlichung des Vergehens der Zeit und der unaufhaltsamen grossen Veränderungen. Besonders in Berlin.

    Montag, August 07, 2006

    Streetart in Berlin-Kreuzberg

    Das Stadtwanderer-Blog präsentiert aktuell einen schönen Beitrag über Berner Graffiti-Kunst. Da Kreuzberger Streetart zum Namen dieses Blogs beitragen hat, folgt auch hier eine kleine Collage aus Fotos von Graffitis in Berlin-Kreuzberg (verschnörkelt mit etwas Photoshop-Art). Nur der charmante Fernsehturm wurde nicht in Kreuzberg, sondern auf der pompösen Karl-Marx-Allee aufgenommen.



    Die Graffiti- und Streetart-Kultur gehört zu Berlin wie die Banken zu Zürich. Es gibt dazu neuerdings sogar ein umfangreiches Fotobuch.
    Während in Zürich Graffitis meist umgehend entfernt werden, ist man in Berlin toleranter: Man würde schlicht nicht nachkommen mit der Sisyphus-Arbeit. Dennoch stört sich ein Verein an den bemalten und besprayten Häusern und Mauern: Der Verein NOFITTI ist eine Bürgerinitiative zur „Rettung des Berliner Stadtbildes“. Im April berichtete die Berliner Zeitung, dass der NOFITTI-Chef zu DDR-Zeiten jahrelang Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen sein soll, was die Beliebtheit des Vereins in bestimmten Kreisen noch zusätzlich schmälern dürfte.

    Nachtrag:
    Natürlich gehört hierher noch ein Hinweis auf die bemalte Berliner Mauer, die der Stadtwanderer in seinem Kommentar einbringt. Es heisst tatsächlich, dass diese das weltgrösste Graffitiobjekt war. Die East Side Gallery, die noch heute zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke steht, war ein politisches Kunstprojekt. Sie steht heute unter Denkmalschutz und wurde bereits restauriert. Sie ist zu einem touristischen Pilgerort geworden und bestimmte Teile der Mauerkunst sind als Berliner Fotomotive fast so populär wie der Fernsehturm.

    Und noch ein Nachtrag:
    Dieses bald 30 Jahre alte Graffiti namens "Undine" ist ein Werk des Zürcher Ur-Sprayers Harald Naegeli, der Ende der 70er Jahre offenbar weltweit bekannt wurde. Der gesprayte Wassergeist "Undine" befindet sich an der Fassade des Deutschen Seminars der Universität Zürich und wurde neulich sogar aufwändig restauriert. Heute gilt Naegeli offiziell als Künstler, anfang 80er Jahre stand er allerdings wegen wiederholter Sachbeschädigung vor Gericht. Vor der hohen Geldstrafe und den neun Monaten Haft, die gegen ihn ausgesprochen wurden, floh er ins Ausland, was zu einem internationalen Haftbefehl führte.

    Bild der bemalten Mauer: Wikipedia,
    Streetart-Bilder: sarah & Guatuso Pics Ltd.
    Bild Undine: wandererarlesheim

    Schwarze Alice gegen nackte Alice

    Seit meiner Ankunft in Berlin war die Werbe- Grossoffensive des Internet- und Telefonanbieters "Alice" nicht zu übersehen: riesige Plakatwände, Video - Werbung in der U-Bahn und Promotion - Desks in der ganzen Stadt mit der wohl als verführerisch gedachten Werbefigur "Alice".
    Von Beginn weg fragte ich mich, was das halb- bis fast ganz nackte italienische Supermodel Vanessa Hessler mit schnellen DSL-Angeboten fürs Internet zu tun hat. Auf allseitige Empfehlung liess ich mich trotz Zweifeln an den aus meiner Sicht unlauteren Werbemethoden von "Alice" auf ein Angebot ein (wie hier bereits beschrieben). Um eine lange Geschichte kurz zu erzählen: Ich habe es bitter bereut. Erst seit Mitte Juli bin ich nun zu Hause tatsächlich auf befriedigende Weise online. Der "Alice"-Anschluss hatte nie funktioniert. Die unzähligen Anrufe auf die "Alice"-Hotline, wo man tagsüber durchaus mal 20 Minuten in der Warteschlaufe hängen bleibt, halfen nicht weiter. Nach mehr als zwei erfolglosen Monaten hatte mich die Geschichte so viele Nerven gekostet, dass ich schliesslich den bestellten Anschluss wieder kündigte und mich meinem jetzigen Anbieter zuwandte. Nun warte ich noch immer auf die Rückzahlung der unrechtmässigen Kontobelastung durch die doch sonst ach so charmante "Alice". Das omnipräsente "Alice"-Häschen wurde mir durch den schlechten Service nicht gerade sympathischer.

    Gemäss dem schweizerischen "Equality Office" ist bei Werbung sexistische Beeinträchtigung vor allem dann gegeben, wenn zwischen der das Geschlecht verkörpernden Person und dem Produkt kein natürlicher Zusammenhang besteht oder die Person in rein dekorativer Funktion (Blickfang) dargestellt wird.

    Ende der 70er Jahre klagte Alice Schwarzer gegen die Zeitschrift "Stern" wegen frauenfeindlicher Darstellung auf "Stern"-Titelbildern. Seither kämpft sie und ihre Zeitschrift EMMA für einen Gesetzesparagrafen, der sexistische Werbung verbietet. Bisher ohne Erfolg. Dass sexistisch keineswegs stets frauenfeindlich bedeuten muss, beweisen Beschwerden aus der "neuen Väterbewegung". Diese wehren sich gegen klischeehafte und negative Darstellungen von Männern und Vätern (vgl. Artikel in der "ZEIT").
    In der Schweiz kann in solchen Fällen bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission eine Beschwerde eingereicht werden. Diese ist aber keine offizielle Instanz, sondern ein Organ zur Selbstkontrolle der Werbebranche.

    Wie wäre es mit einem neuen Action-Film?

    Foto der Alice-Werbung von endl.de, Foto Alice Schwarzer von hier.

    Nachtrag: Ein wunderbares Foto zum Thema.

    Samstag, August 05, 2006

    Berliner Prof. studiert Doping-Skandale


    Die Nachrichten über gedopte Radrennfahrer überschlagen sich mal wieder. Während neulich in Deutschland das Schicksal von Jan Ullrich zur Debatte stand, ist der Fall Floyd Landis, Captain des Schweizer Phonak-Teams, gerade brandaktuell.

    Im Bericht über die Fussball-Tagung am kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt Universität habe ich grosszügig die akademische Eitelkeit kritisiert. Jetzt soll hier doch mal noch zur Sprache kommen, dass an den übermässig mit Fremdwörtern und Anspielungen bestückten Ausführungen von Prof. Hartmut Böhme durchaus viel Einleuchtendes dran sein kann.

    In einem Artikel in der „ZEIT“ beschrieb der Professor für Kulturwissenschaft in Berlin neulich die gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründe des Dopings am Beispiel von Jan Ullrich. Während sich die meisten Medien damit begnügen, jeden neuen Doping-Skandal mit dem gleichen Aufschrei zu vermelden, als wäre es der erste, bin ich als Nachrichtenkonsumentin inzwischen so abgestumpft, als hätte ich vom Rad-Spitzensport nichts anderes erwartet. Ich nehme – wie wohl viele andere auch – einen Skandal nach dem anderen zunehmend gelassener zur Kenntnis.
    Böhmes Analyse mag etwas kulturpessimistisch klingen, aber aus meiner Sicht schreibt er, was in Doping-Nachrichten meist keinen Platz hat: Nämlich dass das Phänomen Doping in einer auf Leistung, Stars und Geld orientierten Gesellschaft im Grunde nicht überraschend ist.

    Auszug aus Hartmut Böhmes Artikel (DIE ZEIT, 20.07.2006):
    Es gibt einen fatalen Zusammenhang zwischen Spitzensportlern à la Ullrich und all den dopenden Hänschen um die Ecke, die allein in die weite Welt wollen, vor der sie doch Angst haben: Der Sport ist das medizinische, informatische, psycho-mentale und kybernetisch-mechanische Großlabor, in dem nicht nur die optimierten Körper unserer Sportidole fabriziert werden, sondern auch die Strategien eines alltagstauglichen Optimierungswettbewerbs, der seine Stützpunkte in all den Fitness-Studios, psychophysischen Trainingsprogrammen und leider auch Arztpraxen hat, die an den getriebenen Leistungsträgern unserer Gesellschaft verdienen wollen. Darum ist der Fall Ullrich zwar auch der Sturz eines Idols, der Crash eines Millionenunternehmens, die Beschädigung einer Sportart; er ist aber vor allem unser eigener Fall.
    Bild J. Ullrich: Hansjörg Furrer, Bild H. Böhme: Website culture.hu-berlin.de

    Freitag, August 04, 2006

    Zürich vs. Berlin im "Tagesspiegel"


    Zum 1. August hatte nicht nur die Schweizer Botschaft, sondern auch die Berliner Tageszeitung "Tagesspiegel" den Kanton Zürich zum Thema gemacht. Die Korrespondentin der NZZ in Berlin, Claudia Schwartz, schrieb für einmal für den "Tagesspiegel" und verglich in einer Beilage zu "Schweiz 2006" Zürich und Berlin unter dem Titel "Zwei Metropolen mit Kiezkultur - Das kleine Zürich und das große Berlin: In ihrer Lebensqualität ähneln sich beide".

    In der Schweiz dürfte übrigens das Wort "Kiez" den meisten unbekannt sein, während es in Berlin alltäglich ist. Es bezeichnet einen überschaubaren, kleinen Stadtbezirk oder auch nur einen Teil davon. In Zürich würde man eher von "Quartiergegend" sprechen.

    Spannend zu lesen ist Schwartz' Artikel nicht nur für jene, die sich selbst intensiv mit dem Verhältnis, den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den beiden Metropolen Zürich und Berlin auseinandersetzen. Es ist ein umfassender, flüssig zu lesender Vergleich - natürlich für eine gutbürgerliche Leserschaft verfasst. Es geht zum Beispiel um gegenseitige Vorurteile, um unterschiedliche gesellschaftliche und kulturelle Szenen und auch die grossstädtische Unfreundlichkeit, die mit einer witzigen Anekdote illustriert wird.

    Treffend fand ich besonders auch den in der Printausgabe hervorgehobenen Satz:
    "Nach Berlin kommt man, um sich zu finden, nach Zürich geht, wer schon etwas ist."
    "Schweizer Kreative suchen in Berlin das Gesellschaftslaboratorium, deutsche Ärzte entfliehen dem deutschen Gesundheitssystem nach Zürich", folgt als Erklärung im Text.

    Berlin bietet tatsächlich unerschöpfliche Inspirationsquellen für kreative Tätigkeiten, wie ich auch schon in den Einträgen "Heimat für Querdenkende" und "Literaturpreis im eigenen Haus" angedeutet habe. In der Aufbruchstimmung seit der Wende und dem rasanten Wandel (besonders in den ehemaligen Ostbezirken und entlang der ehemaligen Mauerstreifen) ist zudem Raum für Experimente. Da vieles noch im Bau ist oder bisher unsaniert geblieben ist, sind viele Ideen, Visionen und kreativer Gestaltungsraum vorhanden. Vielleicht zum Teil auch etwas gar viel Idealismus. Für junge, noch nicht ganz gefestigte Identitäten und unkonventionelle Lebensentwürfe sind diese Veränderungen der Stadt Berlin bei weitem ein angenehmeres Umfeld als das im Vergleich bis in den hintersten Winkel fertig gebaute und geputzte Zürich. Da weiss man auch besser schon, was man mal werden will. Um diese Frage kann man sich in Berlin jahrelang viel einfacher drücken.

    Die Sonderbeilage zu "Schweiz 2006" des Tagesspiegels thematisiert neben dem Verhältnis von Zürich und Berlin auch das allzu diskrete Schweizer Bankgeheimnis, den neuen helvetischen Botschafter in Berlin, Christian Blickenstorfer, das innovative IBM Research Zürich, die Denkfabrik von Swiss Re im "Centre for Global Dialogue" in Rüschlikon und natürlich die Zürcher Lebensqualität. Die Freitag-Taschen sind der Zürcher Exportschlager und Zürich wird als historische Fluchtburg für Verfolgte und Emigrierte wie zum Beispiel Thomas Mann beschrieben. Auch zu den grenzüberschreitenden Aktivitäten der Schweizer Post ist ein Artikel in der Beilage. Ob dies wohl auch der Fall wäre, wenn nicht zufällig Swiss Post ihre Dienstleistung Business Mail International zwei Seiten weiter mit einem halbseitigen Inserat bewerben würde? Der Inserateschwund von Printmedien ist tatsächlich beklagenswert, sodass man fast schon zu verzeihen geneigt ist, obwohl die zunehmende Vermischung von redaktionellem und Werbeinhalt im Grunde skandalös ist. Und schliesslich durfte natürlich die Schweizer Schoggi nicht fehlen: Was erstklassige Schokolade auszeichnet: "Glatte Kante, keine Krümel". Dass das überhaupt anders sein kann, erfährt man eigentlich erst dann, wenn man mal keine Schweizer Schoggi isst, oder beleidige ich damit mal wieder belgische Landsleute?

    Donnerstag, August 03, 2006

    Kreuzberg ist Zürichs Kreis 4 oder 5

    Was in Zürich der Zürichberg und die Bahnhofstrasse sind, ist in Berlin Charlottenburg und der Ku'damm (Kurfürstendamm). Dasselbe gilt für das 16ème Arrondissement und die Avenue des Champs Elysées in Paris und die 5th Avenue in New York. Sie alle gelten als die schicksten und reichsten Gegenden der jeweiligen Stadt.

    In Zürich meide ich die Bahnhofstrasse, so gut es geht, und in Berlin-Charlottenburg gefällt mir eigentlich auch nur der Savigny-Platz und Umgebung. Dennoch ist es alle paar Wochen eine Wohltat, mal aus dem betont alternativen Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain herauszukommen und eine kleine grossbürgerliche Abwechslung im tiefen West-Berlin zu suchen.

    So sehr ich Kreuzberg liebe mit seinen gemütlichen Cafés und Restaurants, den vielen Fahrrad fahrenden und künstlerisch angehauchten Leuten, der auffällig interessanten "Streetart" (hier an der Görlitzer Straße in Kreuzberg) und der Mischung aus vielen türkischen Läden, Bioläden und Zentralen Intelligenz Agenturen, so sehr stellt Kreuzberg in Berlin das exemplarische Gegenteil zu Charlottenburg dar. Man legt sich mit dem Stadtteil, in dem man in Berlin wohnt (nach meinem Empfinden noch stärker als in Zürich), ein bestimmtes Image zu.

    Die Geschwister meiner Berliner Grossmutter wohnen in gutbürgerlichen Stadtteilen des ehemaligen West-Berlins: Wilmersdorf und Lichterfelde. Unweit von da sind sie aufgewachsen: in Berlin-Steglitz. Kreuzberg-Friedrichshain ist für sie geradezu ein anderer Planet. Ihre Begeisterung, dass ich mir ausgerechnet Kreuzberg als Wohngegend ausgesucht hatte, hielt sich sichtlich in Grenzen, um nicht zu sagen, sie waren verständnislos. Fast als ob ich von der Zürcher Goldküste in den Kreis 4 oder 5 in Zürich gezogen wäre.

    Mittwoch, August 02, 2006

    Berlin roch am 1. Aug. nach Zürich


    "Wonach riecht Zürich?", fragte der Schweizer Schauspieler Stefan Gubser von der Bühne herab. Hinter ihm hing ein grosses Foto der Zürcher Innenstadt. Wer aus dem Publikum zum Beispiel "Innovation" oder "Musik" rief, hatte einen gesponserten Preis gewonnen.

    Zürich durfte sich gestern am Schweizer Nationalfeiertag unter dem Motto "Zürichs Duft in der Berliner Luft" auf dem zentralen Berliner Boulevard "Unter den Linden" präsentieren: Duftzerstäuber, die Ventilatoren glichen, hingen an Bäumen und versprühten aromatische Duftwellen. Diese starken Düfte in der Nase waren eher unpassend zum leckeren Geschmack der gratis verteilten "Zürcher Kebabs": Brottaschen, die mit Züri-Geschnetzeltem und Champignons gefüllt waren. Diese waren eigens für den Anlass kreiert worden und hiessen "Züri Schnure", das Pendant zur "Berliner Schnauze". Ausstellungsplakate zwischen Bäumen versuchten darzustellen, wonach Zürich sonst noch riecht: eben zum Beispiel nach "Musik" (Zürcher Tonhalle) und nach "Innovation" (Universität und ETH Zürich).

    Die lustigen "Acapickels" hatten wir leider bereits verpasst, als wir gegen 13 Uhr auf dem Festplatz am Boulevard "Unter den Linden" eintrafen, um zu sehen, wie sich unser Heimatkanton der Berliner Bevölkerung vorstellt. Auch der aktuelle Schweizer Botschafter Christian Blickenstorfer und die Zürcher Regierungspräsidentin Verena Diener hatten die anwesende Festgemeinschaft bereits begrüsst.

    Schweizerdeutsch war überall zu hören und diverse Promis schlenderten über den Platz: PR-Berater Stöhlker, der von Berlin nach Zürich zurückkehrende Roger Köppel wie auch Rita Fuhrer mit Ehemann und die Zürcher FDP-Präsidentin Doris Fiala. Ein Mitarbeiter von Radio 24 kam auf der Jagd nach O-Tönen ebenfalls auf uns zu. Er hielt uns das Mikrofon unter die Nase und fragte, ob uns die "Züri Schnure" schmecke. Als wir schweizerdeutsch antworteten, brach er ab und sagte, er brauche deutsche Stimmen für seinen Beitrag. Das Publikum war insgesamt stark überaltert, und ich fragte mich irgendwie, wo denn die ganzen jungen und trendigen Berlin-Zürcherinnen und -Zürcher geblieben waren.

    Ein Höhepunkt war immerhin das Konzert der Jazz-Pianistin Irène Schweizer, die seit langen Jahren in Zürich wohnt. Ihr Schaffhauser Dialekt verrät aber noch immer ihren ursprünglichen Heimatkanton. Sie spielte zusammen mit dem Saxophonisten Omri Ziegele. Zwischendurch moderierte Stefan Gubser wieder ein gesponsertes Quiz. Die Fragen waren - wie für solche Rätsel charakteristisch - lächerlich einfach und rasch beantwortbar. Das Überreichen der corporate sponsored Preise war dafür um so ausführlicher und die Preisgeber wurden mehrfach genannt.

    Insgesamt vermochte aus meiner Sicht am Zürcher Fest "Unter den Linden" nicht wirklich eine feierliche Stimmung aufzukommen. Die Zürcher Image-Werbung wirkte auf mich ziemlich steif. Ich fragte mich, was ich wohl als Berlinerin für ein Bild von Zürich vermittelt bekommen hätte, wenn ich dem Aufruf des Berliner Medienpartners "Tagesspiegel" gefolgt wäre und zum Fest gekommen wäre. Das kostenlose Essen schien bei den Festbesucherinnen und -besuchern jedoch gut anzukommen und bestimmt wurden ein paar gute wirtschaftliche und politische Kontakte geknüpft. Der Riesling x Sylvaner, Wein aus dem Zürcher Staatskeller, ist leider noch vor Ende des Fests ausgegangen.