Donnerstag, März 22, 2007

Freitag Zürich, Milk Berlin

Kaum ein anderes urbanes Accessoire zeigt ähnlich deutlich: wir sind jung, trend- bewusst und cool. Vergessen waren Mitte der 90er plötzlich alle Vorteile, die rückenfreundliche Gepäckstücke mit sich bringen, als mit den Umhängetaschen neuerdings wieder sehr einfach Style bewiesen werden konnte. Alle besonders Individuellen waren in Zürich fast schlagartig einheitlich mit derselben Tasche bestückt.
Die erste Freitag-Tasche sah ich mit 14 in meiner ersten Englisch-Lektion: jene der jungen Lehrerin in meinem Zürcher Schulhaus, in dem damals noch ein Übermass an Lehrern alter Garde unterrichtete (aufstehen, wenn der Lehrer das Zimmer betritt, aufrufen mit Nachnamen wie am ehemaligen Knabengymnasium üblich). Die Freitag-Taschenträgerin war neben ihrem Englischpensum Sängerin, spielte exzessiv Computerspiele, trug Schuhe mit hohen Gummisohlen, die ihrer Körpergrösse nachhelfen sollten, und verlieh dem trist betonierten Schulhaus mit ihrer Freitag-Coolness den dringend nötigen frischen Wind.

Das war vor mehr als 10 Jahren. Inzwischen ist Freitag aus den Zürcher Szene-Kreisen in den globalen Mainstream geflossen und zum modernen Zürcher Export-Schlager schlechthin geworden. Wer jetzt in Zürich noch trendige Coolness demonstrieren will, kauft sich keine Freitag-Tasche mehr. Viel zu etabliert. Schliesslich hingen die Taschen bereits im MoMA und in Ausstellungen mit dem Titel: Unikat, Prototyp, Reproduktion. Strategien der Individualisierung und Authentizität im Kunsthandwerk des 21. Jahrhunderts. In der - leider verpassten - Ausstellung wurde auch die geradezu taschenphilo- sophische Frage gestellt: Ist die von Hand genähte Freitag-Tasche ein Einzelstück in der Serie?

Seit letztem Sommer hat sich Freitag im Übrigen ein Denkmal gesetzt: in der Ausgangsmeile im Kreis 5 steht der Freitag-Tower, ein monumentaler, industrieromantischer Shop im hip gewordenen ehemaligen Industriequartier Züri-West.

In Berlin ist Freitag zurzeit noch viel cooler als in Zürich, wo man eigentlich bloss mit einer uralten Tasche noch punkten kann, indem man damit beweist, dass man von Anfang an dabei war. In der angesagten deutschen Metropole hingegen glauben manche fest daran, dass es sich bei Freitag um ein Berliner Label handle. Berlin hat nämlich auch so einiges an LKW- Planen- Umhängetaschen zu bieten.

Wer in Berlin war, nach Zürich zurückkehrt und den Aufenthalt in der Grossstadt zur Schau tragen möchte, bloggt entweder über Züri-Berlin, trägt Berlin-Buttons oder eine Tasche von Milk Berlin. Oder von ichichich, Pellemia oder anderen verwandten Planen-Taschen wie z.B. kitchenfloorbags. Man kann sich in Berlin natürlich auch einen Kultbag besorgen, der allerdings ursprünglich aus dem Ruhrgebiet stammt. In Berlin kaum gesehen, in "Downtown Switzerland" aber weiterhin beliebt, sind die Timbuk2-Messenger-Taschen aus San Francisco.

Das deutsche Magazin "Stern" spricht sich in einer Fotostrecke für Plane statt Prada aus. Was Milk Berlin und die anderen verarbeiteten Planen im Gegensatz zu Freitag Zürich nicht können: Planen-Taschen-Nachahmer-Labels auf den Plan rufen, die sich Freinacht und Donnerstag nennen. Zwar unschlagbar, dafür kickbar bleibt selbstverständlich auch der Freitag-Fussball:

Ich bin im Übrigen weiterhin keine corporate sponsored Bloggerin, und konnte mich weder je mit Freitag-Coolness noch mit Milk Berlin-Trendiness schmücken. Ich trage weiterhin mein ausgeleiertes Fabrikat von Leder Ruffner durch die Gegend. Herr Ruffner ist mit seiner überaus freundlichen und tendenziell geschwätzigen Art ein echtes Zürcher Original.

Foto Freitag-Taschen: nchenga, Foto Freitag Tower: ubiquity_zh, Foto Freitag-Fussball: Dom Dada

Montag, März 19, 2007

Shortnews aus Züri-Berlin

Seit heute hängt auch an Zürcher Kiosken das ge«spiegel»te Comeback Berlins als Weltstadt. 1999 fragte man sich bei der MorgenWelt, ob Berlin zur Weltstadt rekonstruiert werde, und anderswo wird noch dieser Tage wortreich über Berlin als Weltstadt philosophiert. Man kommt bei Alles über Berlin schliesslich zum leicht befremdenden Schluss: "Mithin ein weiterer Grund, warum Berlin so schrecklich ist!" Aber wahrscheinlich ist das alles Koketterie und schlicht eine verkappte Liebeserklärung, denn wer Kategorien wie "Mondiale Provinz" erfindet, kann Berlin nicht nicht lieben.


Ein Berliner Besucher der europäischen Konferenz über Protestbewegungen in Zürich war ganz angetan vom erstmals besuchten Nachbarland.

Mittlerweile las er allerdings in der Berliner Zeitung vom neuen Schweizer German Bashing und dürfte dadurch wieder etwas ent-euphorisiert worden sein.

Seit wenigen Tagen bloggt nun auch unser ehemalige Bundespräsident und weiterhin Bundesrat und Kommunikationsminister Moritz Leuenberger. Vor einem halben Jahr schrieb ich an dieser Stelle: Frau Merkel hat Leuenberger durch ihre Direktkommunikation via Video-Blog einiges voraus.
Des Zürcher Leuenbergers Blog ist bestimmt kein technisches Wunderwerk, wirkt aber im Vergleich zu Angela Merkels V-log aus Berlin zwar handgestrickter, aber auch irgendwie etwas weniger als handelte es sich um aufwändig inszenierte Polit-PR. Immerhin darf man Leuenbergers Worte öffentlich kommentieren, was ganze Kommentarfluten nach sich zieht. Merkel schützt sich wohl vor allzu gut gemeinten Ratschlägen aus der Bevölkerung.

Die Kasse der Stadt Zürich klingelt. Wenn sogar sozialdemokratische Stadtpräsidenten Steuersenkungen ankünden, haben sich die Machenschaften rund um den Finanzplatz Zürich scheinbar mal wieder gelohnt. Verkehrsbussen sind eine weitere nette Einnahmequelle. Vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass damit die Stadt Zürich 2006 satte 58 Millionen Franken eingenommen hat. Weil nun auch falsch geparkten deutschen Autos der unbeliebte Zettel unter dem Scheibenwischer blüht, konnten - gemäss Tages-Anzeiger vom 14. März - die Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr um vier Millionen gesteigert werden. (Bild: flickr/Walsch)

Deswegen gilt weiterhin: Deutsche Kluge reisen im Zuge. Zürich HB und Berlin Hbf sind nämlich neuerdings Partner- bahnhöfe. Hoffentlich führen die diversen Bahnhofspartnerschaften dazu, dass der Berliner Hauptbahnhof das Image des Pannen-Bahnhofs abstreifen kann, und dass nie wieder die Rede von einstürzenden Neubauten sein muss.

Inzwischen könnte sich der Zürcher HB eine spezielle Mission auf seine Flaggen schreiben: Die Vereinheitlichung des verwirrenden hauptbahnhöflichen Abkürzungswesens.

Dann würde Berlin Hbf schlicht zu Berlin HB. Das wäre doch mal ein wahrer ästhetischer Fortschritt im Reich der elektronischen Fahrplanabfrage.

Freitag, März 09, 2007

Wege nach Züri-Berlin

Es ist ein Blick in die Seele Wildfremder, den man gar nicht unbedingt haben wollte. Wer sich einst wünschte, man könne Gedanken lesen, hat jetzt den Salat. Manche Finger tippen schneller in Suchmaschinen als Gehirnwindungen prozessieren können, was durch sie hindurch rast.



Eine besonders unterhaltsame Rubrik von Bloggerin sopran (eine ähnlich unverbesserliche Passig-Verehrerin wie meine Wenigkeit), ist jene namens Wege zu mir. Aus Blog-Statistiken geht hervor, was man mit Tastaturen so anstellen kann und mit welchen unglaublichen Fragen unbekannte Menschen plötzlich auf das ausufernde Geschreibsel in Blogs stossen. Von sopran wollen z.B. Googelnde wissen: "wer hat PMS erfunden", "Was an Sachen darf ich mit ins Gefängnis nehmen", "Liebhaber breiter Hüften", "möchte so gerne ratte eltern dagegen" und was es mit "schnörzen" auf sich hat.

Die Wege sind oft köstlich sonderbar, im Falle von Züri-Berlin auch nicht selten anzüglich. Am meisten Unique Visitors verursacht hier ohnehin der Eintrag (und die Kommentare zu) "Schwarze Alice gegen nackte Alice", und bietet sehr regelmässig Antwort auf Fragen wie "Wer ist das Model der Alice-Werbung?", "nackte Schwarze", "nackte Frauenhaut" etc. Die Klickenden dürften nicht finden, was sie suchen, aber warum klicken sie dann überhaupt, wenn doch hinter Zürich und Berlin zunächst nicht viel Anzüglichkeiten zu erwarten sind. Jedenfalls nichts, was mit "anonymen nackten Gruppen" zu tun hätte. Leider gibt es hier auch keinen Lebenslauf in Flaschenform - my sincerest apologies.

Und wenn wir schon in selbstreferenziellen Gewässern der Blogosphäre dümpeln:



Wer Lobhudeleien des Blogdenunziaten über sich ergehen lassen darf, soll sich nicht beklagen, ausgerechnet zur Alternative unter studentischen Blogs gekürt zu werden. Auch wenn ich mindestens wöchentlich erfolglos gegen mein unerträglich alternatives Image ankämpfe:

"Nein, ich bin erstaunlicherweise nicht Vegetarierin, war es noch nie, und ich habe zwar nichts gegen pestizidfreie, hormonlose und gentechnisch unveränderte Lebensmittel, aber ich esse tatsächlich auch schamlos Unge-Bio-Label-tes. Sogar ein paar mal geflogen bin ich schon, was mich durch meinen fast autofreien Lebenswandel auch nicht mehr in den Ökohimmel katapultieren wird. Immerhin gebe ich zu, schon mal zur Gewissensberuhigung ein MyClimate-Ticket gekauft zu haben. Auch wenn ich keinen Fernseher habe, gibt es bei mir zu Hause und in netten Cafés doch so etwas wie dieses Internet, und ich habe auch kein selbstgehäkeltes Handytäschchen."

Wer gelobt wird, soll – wenn angebracht – zurückloben. Über den Blogdenunziaten ist zu sagen, dass er ein wahrer digitaler Verkleidungskünstler ist. Er betreibt gleichzeitig eine unüberschaubare Zahl von Kanälen, ist zugleich Verwerter, Positivist, Dissident, "heute"-Satiriker, blicksam, Frank Schrillmacher und eigentlich David Berger, von dem ich mich ernsthaft frage, wann er schläft und frische Luft atmet, und von dem ich gerne irgendwann mal Gedrucktes lesen möchte. Das würde nämlich auch die Unüberschaubarkeit seines literarisch flinken publizistischen Schaffens angenehm eingrenzen.

Und noch etwas in eigener Sache:
Der letzte Eintrag wusste erstaunlicherweise den Schnellschuss einer Redaktorin der anderen - nicht "heutigen" - Zürcher Gratiszeitung zu verhindern. Diese rief mich nämlich gestern wegen meines spontanen Aufrufs zu einer E-Mail-Petition an, die einem tollen, jungen Assistenzprofessor zugedacht ist. Dieser muss wahrscheinlich unser – vergleichsweise ohnehin sehr dürftig mit Lehrstühlen bestücktes – Institut an der Uni Zürich zugunsten eines zurzeit in Konstanz tätigen Professors verlassen. Hätte die gute "20 Minuten"-Reporterin nicht beim Namen-Googlen meinen Eintrag zum Thema "Deutsche in der Schweiz" gefunden, müsste man sich schon fast wieder auf eine Schlagzeile in der Gratiszeitung gefasst machen im Stil von: "Schweizer Professor für einen Deutschen abgesetzt". Dazu sind Blogs offenbar da: Skandalhungrigen Gratisblättern von Beginn weg klar machen, dass sie damit an der falschen Adresse wären. Der Artikel über die Petition wurde inzwischen auf nächste Woche verschoben, ich sammle fleissig Namen von Mitstudierenden, die ebenso die Betreuungssituation am Institut für Politikwissenschaft verbessern wollen und den geschätzten Assistenzprofessor bei uns behalten möchten. Meine Mailbox überquillt. Ganz froh bin ich im Übrigen über die Tatsache, dass schliesslich festgestellt wurde, dass jener Professor in Konstanz ohnehin Schweizer ist, was die befürchtete Schlagzeile schlagartig in Luft auflöste.