Freitag, Juni 23, 2006

Die 1920er mit Claire Waldoff

Seit vielen Jahren bin ich ein Fan der Chanson-Kabarett-Sängerin Claire Waldoff, die besonders in den Zwanziger Jahren letzten Jahrhunderts in Berlin ihr Unwesen trieb. Sie verkörperte den neuen Frauentyp von damals mit Bubikopf und neuem Selbstbewusstsein.
Ihre Stimme ist zwar alles andere als lieblich, die Texte sind aber köstlich unterhaltsam und frech. Sie besingt Berlin („Ne dufte Stadt ist mein Berlin“, „Es gibt nur ein Berlin“), macht sich über liebestolle Verehrer lustig („Warum liebt der Wladimir jerade mir“,„Wegen Emil seine unanständ’ge Lust“) und über unfreundliche Umgangsformen („Wer schmeißt denn da mit Lehm“). Ihre Spezialität waren Schlager, Chansons und Kneipenlieder im Berliner Jargon. Sie stand auch mit der damals noch unbekannten Marlene Dietrich auf der Bühne. Nach 1933 erhielt sie für eine Weile politisches Auftrittsverbot, weil sie kurz davor noch bei der kommunistischen Roten Hilfe aufgetreten war. Propagandaminister Goebbels verbot ihr 1936, in der Scala aufzutreten. Dennoch wurde sie von der Wehrmacht zur Truppenbetreuung engagiert. Und sie sang 1942 vor deutschen Soldaten im besetzten Paris. Nach dem Krieg verlor sie ihre Ersparnisse mit der Währungsreform, sie erhielt aber vom Berliner Magistrat zum 70. Geburtstag eine Ehrenrente zugesprochen. Heute erinnert noch eine Strasse beim Oranienburger Tor an die Sängerin und die Berlin-Nostalgie-Ecke im Kulturkaufhaus.


Gerne schwelge auch ich hin und wieder im Mythos der Berliner goldenen Zwanziger und hör mir dazu ein paar Waldoff-Stücke an. Und wenn ich am „Halleschen Tor“ jeweils in eine andere U-Bahn umsteige, male ich mir aus, wie es wohl zur Zeit der „Hannelore vom Halleschen Tore“ in Waldoffs Lied da ausgesehen haben mag.