Mittwoch, Juni 21, 2006

Freud und Leid der WM

Die WM hat nun nach der langwierigen Vorbereitung doch noch begonnen. Und ist selbstverständlich in der Hauptstadt des Gastgeberlandes Thema Nummer 1. Ob man möchte oder nicht. Wer sich dagegen wehrt, macht es genauso wieder zum Thema.

Die Spiele machen Spass und gesperrte Strassen, auf denen Beamer und Leinwände stehen und viele nette Leute Eis essen, Wasserpfeife rauchen und gemeinsam Fussball gucken, sind echt ein Glücksgefühl. Anstrengender sind ganz penetrant nationalistische, halb betrunkene Fans und die Tatsache, dass sich jede Werbung, jedes Schaufenster und unzählige Produkte mit der WM in Verbindung bringen wollen. An der Uni beschäftige ich mich am kulturwissenschaftlichen Institut auch noch mit Fussball. Da ist es immer wieder mal spannend, das Phänomen gesellschaftlicher Faszination an diesem Spiel mit anderen Augen zu betrachten.

Mit Interesse beobachte ich auch die Opposition zur „FIFA-Männer-WM“. Die WM lässt sich nicht nur für Werbezwecke, sondern auch für linke Politik instrumentalisieren. Es wird massiv Kritik geübt an Coca-Cola als WM-Sponsor, an der Kommerzialisierung, es wird gegen Rassismus, Neolibe-
ralismus, Frauenfeindlichkeit, Nationalismus, Homophobie und Sicherheitswahn gewettert. Die NaturfreundeJugend Berlin wünschte der deutschen Nationalmannschaft gar offiziell das „Vorrundenaus“. Einige Kritikpunkte haben aus meiner Sicht durchaus ihre Berechtigung, gehen allerdings im ganzen Rummel und der Begeisterung völlig unter. Denn wer möchte schon in der allgemeinen freudigen Euphorie und dem überschäumenden Gemeinschaftsgefühl ständig daran erinnert werden, dass Coca-Cola für Morde an kolumbianischen Gewerkschaftern verantwortlich gemacht wird, dass es unfair ist, dass die Frauen-WM nicht beachtet wird und dass sich grosse Textilfirmen Rekordgewinne erwirtschaften, während ihre Sportprodukte in China, Indonesien und anderen Ländern zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen hergestellt werden, dass neu erweckte Nationalgefühle auch rassistische Schattenseiten haben?
Man muss all dies ausblenden, um die Spiele wirklich geniessen zu können. Das gelingt mir ganz gut. Und doch bin ich froh, dass sich einige die Freude an der WM verderben lassen, um unermüdlich auf Ungerechtigkeiten und Missstände hinzuweisen.