Montag, Juli 10, 2006

Nie mehr Fussball

Zu allem Fussballüberfluss der letzten Wochen habe ich am Wochenende an einer dreitägigen internationalen Konferenz teilgenommen: Am Ball der Zeit: Die Fußball-WM 2006 als Ereignis und Faszinosum (Programm).

Auf hohem – zuweilen auch abgehobenem – Niveau wurde im noblen, aber klimatisch und akkustisch eher ungeeigneten Senatsaal der Humboldt Universität über das kulturelle Drum und Dran des beliebtesten Ballsports diskutiert. Eher trockene Beiträge wurden auch von nachdenklichen bis witzigen Vorträgen, Diskussionen und Wortmeldungen ergänzt. Es ging um die zelebrierte Männlichkeit des Sports, die Rolle des Fernsehens und die allgemeine Medialisierung, um Gesichtsausdrücke von Spielern, Trainern und Prominenten im Publikum, das Heranzoomen von Stars wie Ronaldo, Figo und Ballack. Auch die Ästhetik des Fussball und die sozialen Funktionen des Spiels, beim dem es um Alles und Nichts geht, wurden diskutiert.

Der unterhaltsamste Beitrag war jener des Philosophen Arnd Pollmann zum Thema „Flankengott, erbarme dich! Fan-Sein als ekklesiogene Neurose“, der genauso Show wie wissenschaftlicher Vortrag war. Pollmann zeigte auf sehr witzige Art, dass Fussball nicht – wie oft behauptet – Religionsersatz ist, sondern dass sowohl Fussball wie auch Religion beide Ersatzhandlungen sind für dasselbe „fundamentalpsychologische Phantasma“. (Solche Wörter scheinen mir kennzeichnend für eine elitäre Eitelkeit in gewissen wissenschaftlichen Kreisen zu sein.) Sehr einleuchtend fand ich seine Typologisierung von Fans, die ich hier zusammengefasst wiedergebe. Sie reicht von scheinbaren Fans bis zu bedrohlichen Fans.

  • Viele Prominente sind scheinbare Fans, die ins Stadion gehen, um selbst gesehen werden.
  • Moralische Fans geben sich als unparteiisch, sind Anhänger des Fair-Play und betonen, die besseren mögen gewinnen.
  • Ästhetikorientierte Fans setzen allein auf die Schönheit des Spiels. Sie sind in den Augen echter Fans „bindungslos flottierende Schöngeister“.
  • Verkappte Fans sind z.B. deutsche Kleinbürger, die sich ein exotisches Brasilien-Trikot über den Bierbauch stülpen oder politisch Korrekte, die auf die aussichtsreichste afrikanische Mannschaft im Turnier setzen. Sie wollen zwar, dass die eigene Mannschaft gewinnt, doch die Mannschaft, die sie unterstützen, ist irgendwie nicht wirklich die eigene.
  • Ressentiment-Fans sind oft im linken politischen Spektrum zu finden. Dort favorisiert man gerne Outsider wie Senegal oder St. Pauli. Hauptsache Deutschland oder der lokale Club kommt nicht weiter.
  • Schön-Wetter-Fans sind gegen aussen treue Fans, ziehen sich aber bei drohendem Misserfolg schnell zurück.
  • Sporadische Fans ziehen auch mal zur WM in den Strassen mit und probieren mal aus, ob das Fussballfieber wirklich ansteckend ist.
  • Die bedrohliche Steigerung von „Fan“ ist „englischer Fan“. Englische Fans nehmen Fussball bitterernst. Ihre eigene Ehre und Identität steht auf dem Spiel.
  • Das bedrohlichste Fan-Dasein leben Hooligans. Sie machen die Unterscheidung zwischen Freund und Feind, die eigentlich auf dem Spielfeld spielerisch sublimiert werden soll, zu ihrem Lebensinhalt und leben diese triebhaft aus.

  • Ich halte mich übrigens für eine Mischung aus moralischem und ästhetikorientiertem Fan mit einem Hauch Ressentiment-Fan.

    Hartmut Böhme, Professor für Kulturwissenschaft, bei dem ich auch eine Vorlesung über das vielleicht erstaunliche Thema „Kultur- und Wissensgeschichte über das Leere und Nichts“ besuche, referierte in gewohnter Wortvirtuosität (die wiederum teilweise Ausdruck intellektueller Eitelkeit sein mag) über „Idole und Bälle. Fußballkultur und Fetischismus“.

    Abgerundet wurde die Tagung durch verschiedene Nebenschauplätze wie zum Beispiel ein Jöggeli-Turnier (=Kicker-Turnier) mit „Länderspielen“. Ironischerweise kamen bei der an Tischen nachgefühlten WM immer genau jene Teams weiter, die bei der diesjährigen WM ausgeschieden sind. Neben dem hervorragenden Film zu Frauen und Fussball namens „Fußballgöttinnen“ gehörte für mich ein Fussballspiel auf dem Innenhof der Humboldt-Universität zu den Höhepunkten, der liebevoll organisierten Tagung, von der ruhig noch mehr Interessierte hätten profitieren können.

    Ich verspreche, dass dieser Beitrag die letzte ausführliche Belästigung allfälliger Blog-Leserinnen und –Leser mit Fussball und WM gewesen ist. Es ist höchste Zeit geworden, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen zuwendet.