Samstag, Juli 29, 2006

Stadt der Gedenkstätten

Berlin ist mit seiner sehr bewegten Geschichte in der Liga der Grossstädte ein Spezialfall.
An vielen Stellen ist die Stadt noch gezeichnet von der Zertrümmerung im 2. Weltkrieg und die ehemaligen Mauerstreifen durchziehen die Stadt wie Narben. Mancherorts ist genau durch diese Narben ein Freiraum entstanden, der eine grosse Kreativität und viele bunte Projekte wie Freiluftkinos, Skaterhallen, Klettertürme, Konzert- und Partyräume hervorbringt. Gerade auch diese üben eine grosse Anziehung der Stadt auf junge Menschen aus aller Welt aus.

Während Berlin städtebaulich weiterhin im Umbruch ist, erinnern unzählige Gedenkstätten an schreckliche Ereignisse der Stadtgeschichte.

Die Gedenkstätte Topographie des Terrors ist eine Freiluftausstellung zum Regime der Nazis neben dem Martin-Gropius-Bau. Auf dem Ausstellungsgelände befanden sich von 1933 bis 1945 die wichtigsten Einrichtungen des nationalsozialistischen Verfolgungs- und Terrorapparats: die Gestapo, die SS und das Reichssicherheitsamt. Die Dokumente der Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und anderer sozialer Gruppen lassen erschaudern. Durch den Ort der Ausstellung wirken sie noch verstärkt: Während an jener Stelle stattliche Gebäude standen, wurden diese im Krieg verständlicherweise zerbomt. Was noch übrig geblieben war, wurde nach dem Krieg gesprengt. Noch heute ist das Gelände - auch wegen des ehemaligen Mauerstreifens - ausser der schlicht gehaltenen Ausstellung kaum bebaut. Der bekannte Schweizer Architekt Peter Zumthor hatte 1993 übrigens den Architektur-Wettbewerb für die Errichtung einer Gedenkstätte gewonnen. Ein Teil des Projekts stand schon, als es aus vorwiegend finanziellen Gründen zum Baustopp kam. Zumthors bereits halb gebaute Türme wurden wieder abgerissen und machten der heute zu sehenden Gedenkausstellung Platz.

Sowjetische Ehrenmale gibt es in Berlin mehrere. Das grosse Mahnmal für die sowjetischen Gefallenen steht im Treptower Park, das mit dem Velo in 10 Minuten von mir aus zu erreichen ist. Es hat durchaus seine Berechtigung, dass die russischen Opfern des 2. Weltkrieges gewürdigt werden. Gerade auch weil allzu oft vergessen wird, dass die Sowjetunion auch zu den aliierten Mächten gehört hatte, die gegen das Nazi-Regime gekämpft haben. Russland hatte zudem im Vergleich zu den USA auch viel mehr Menschenopfer zu beklagen. Die Grösse und besonders auch die propagandistischen Texte Stalins an den Steintafeln in sozialistischer Ästhetik wirken auf mich dennoch ziemlich irritierend.
Zentraler gelegen ist das kleinere sowjetische Ehrenmal an der Straße des 17. Juni alias "Fanmeile".

Die Gedächtniskirche am Bahnhof Zoo erinnert noch stark an die Berliner Trümmerlandschaft von einst. In den 1890er-Jahren errichtet, wurde die Kirche 1943 durch alliierte Bombenangriffe weitgehend zerstört. Der Turm blieb als Mahnmal gegen den Krieg erhalten, die modernen Bauelemente wurden in den 1950er-Jahren hinzugefügt.

Das Holocaust-Denkmal fand ich wiederum beeindruckend ästhetisch. Die symbolischen Grabstelen sollen zwar an eines der grausamsten menschlichen Verbrechen im 20. Jahrhundert erinnern. Das Sonnenlicht wird aber von den Stelen dermassen schön reflektiert, dass das Denkmal zusammen mit der eindrücklich wirkenden Anordnung der symbolischen Grabsteine irritierend fotogen ist. Grundsätzlich hilft dies aber, um so mehr Publikum anzuziehen, was dem Zweck eines Mahnmals ja durchaus dienlich ist.

Ein weiteres Denkmal in Berlin-Tempelhof erinnert an die Berliner Luftbrücke. Während der sowjetischen Berlin-Blockade wurde Westberlin zwischen Juni 1948 und Mai 1949 aus der Luft durch die Westalliierten versorgt. Ein ausgeklügeltes System der amerikanischen Luftwaffe machte es möglich, dass damals alle drei Minuten ein Flugzeug landen konnte. Die Luftbrückenflugzeuge wurden bekanntlich auch "Rosinenbomber" genannt.

Auch zu nennen wären unterschiedlichste Mauerdenkmale und -gedenkstätten, die 45 Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer wieder viel zu reden geben.

In Berlin-Kreuzberg steht ein Denkmal mit der Aufschrift "Leipzig". Es gedenkt wie das Völkerschlachtendenkmal in Leipzig den Opfern der Befreiungskriege gegen Napoleon. Rundherum liegt der grosse schöne Viktoriapark mit Wasserfall. Der Park liegt im Übrigen am einzigen "Berg" in Kreuzberg: ein Hügelchen für Schweizer Verhältnisse.

Der Besuch in Leipzig führte uns zum Völkerschlachtendenkmal, einem Wahrzeichen der Stadt und zudem dem grössten Denkmal Europas. Das Mahnmal gilt allen Opfern der Schlacht von 1813, die vor dem 1. Weltkrieg als grösste der Geschichte galt. Es kämpften Truppen aus Österreich, Preussen, Russland und Schweden gegen Napoleons Truppen. Deutsche mussten auf beiden Seiten kämpfen. Beachtlich fand ich, dass das Denkmal erst 100 Jahre nach der Schlacht im Jahre 1913 eingeweiht wurde. Ich fragte mich, ob im Jahre 2045 wohl noch jemand bereit sein würde, ein Denkmal für die Opfer des 2. Weltkrieges zu bauen..

Soweit ich weiss, steht in Zürich kein bekanntes Denkmal in Bezug auf den 2. Weltkrieg. Vor dem Zürcher Hauptbahnhof steht prominent der Industrielle Alfred Escher, an der Bahnhofstrasse der Pädagoge Heinrich Pestalozzi, an der Limmat hoch zu Pferd Hans Waldmann (Bürgermeister im 15. Jahrhundert) und beim Grossmünster der Reformator Huldrich Zwingli.
Die einzige mir bekannte Gedenktafel hängt in der Aula der Universität Zürich. Sie bezieht sich auf Winston Churchills Rede 1946 an die akademische Zürcher Jugend. Der auf der Tafel verewigte Schlusssatz seiner Rede lautete: "Therefore I say to you: let Europe arise!".
"Stattreisen" organisiert eine Stadtführung zum Thema Zürich im 2. Weltkrieg.

Alle Fotos von Sarah, ausser Viktoriapark und Völkerschlachtendenkmal von Wikipedia.