Freitag, August 11, 2006

Berliner Ahnenforschung

Einer meiner Berliner Vorfahren hat in der Weimarer Republik und zu Beginn des Dritten Reiches für die deutsche protestantische Kirche eine tragende Rolle gespielt. Mein Ururgrossvater, war damals Präsident des Preußischen Evangelischen Oberkirchenrats. Noch heute befindet sich der "Evangelische Oberkirchenrat" hinter dem Bahnhof Zoo und da hängt auch dieses Porträt von ihm. In diesen Räumlichkeiten haben meine Urgrosseltern geheiratet und eine Weile gewohnt.
Obwohl mein Urgrossvater Theologe war und dessen Tochter, meine Grossmutter, wiederum einen Pfarrer zum Ehemann genommen hat, bin ich zwar nicht völlig atheistisch, aber ungetauft und konfessionslos geblieben und hatte kaum je Kontakt zu traditionellen kirchlichen Kreisen. So hat es zwar etwas Befremdliches, aber auch Spannendes, sich auf familiären Spuren in Berlin ausgerechnet mit Kirchengeschichte auseinanderzusetzen.

Das Buch des englischen Kirchenhistorikers Jonathan R. C. Wright gibt unter dem Titel "Über den Parteien" - Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918-1933 einen ausführlichen Einblick ins kirchenpolitische Geschehen jener Zeit. Zum ersten Mal wurde mir auch nach dem kürzlichen Besuch im Deutschen Historischen Museum bewusst, dass die Kirche im Dritten Reich eine spezielle Rolle hatte. Langfristiges Ziel des Nationalsozialismus war die Eindämmung des gesellschaftlichen Einflusses der Kirchen, da Religion der geplanten Durchdringung des Alltags durch die nationalsozialistische Ideologie im Wege stand. Insgesamt hat aber das Nazi-Regime eine widersprüchliche Kirchenpolitik verfolgt.
Bei Hitlers Machtübernahme spaltete sich die Evangelische Kirche: Die "Deutschen Christen" versuchten die Kirche auf einen mit dem neuen Regime verträglichen Kurs zu bringen, die "Bekennende Kirche" war eine Abspaltung, die sich gegen eine Gleichschaltung von Lehre und Organisation der evangelischen Kirchen mit der Ideologie des Nationalsozialismus wandte. Zahlreiche Geistliche wurden verwarnt, erhielten Redeverbot oder wurden in Haft genommen.
Gespannt blätterte ich in Wrights Buch "Über den Parteien" und hoffte insgeheim, Hinweise zu finden, dass mein Vorfahre zur Bekennenden Kirche übergetreten sei. Das scheint nicht der Fall gewesen zu sein, genauso wenig wie er den Deutschen Christen beigetreten ist. Gemäss den Darstellungen im Buch war er sich als Präsident zwar der Gefahr des Regimes bewusst, vor allem aber entschlossen, die Unabhängigkeit der Kirche zu sichern. Dabei schreckten die Kirchenführer leider aber auch davor zurück, die missfallenden Seiten des Regimes zu kritisieren.

Aus heutiger Sicht ist es schwer zu beurteilen, wie man sich selbst im damaligen Terrorregime verhalten hätte. Ob man emigriert wäre, sich unter Lebensgefahr gewehrt hätte, mitgelaufen wäre, um die eigene Haut zu retten?

Mein Urgrossvater war in seinen letzten Amtsjahren bis ungefähr 1965 als Pfarrer Seelsorger im damaligen Krankenhaus Bethanien (Bild: Wikipedia) in Kreuzberg tätig gewesen. 1971 wurde das vom Abriss bedrohte stillgelegte Krankenhaus besetzt. Heute ist das grosse Gelände beim Mariannenplatz ein Künstlerhaus. 2005 zogen zudem ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner des Hausprojekts Yorck59 in zwei Seitenflügel im Bethanien.

Im Hof des Künstlerhauses Bethanien zeigt momentan das Freiluftkino Kreuzberg (Bild: Website Freiluftkino) jeden Abend einen Film. An lauschigen Sommerabenden da im Liegestuhl einen Film zu sehen, ist ein wunderbares Abendprogramm.

Meine Grossmutter schliesslich, die 1931 in Berlin geboren wurde, schrieb mir vor einem Monat in einem Brief:
"Berlin, wie du es jetzt erlebst, ist natürlich ein ganz neues, anderes als zu meiner Jugendzeit. Bis Kriegsende lebte man überall und nirgendwo, aber von 1945 bis 1955 waren wir sesshaft in Berlin-Steglitz. Die letzten Schuljahre bis zu meinem Abitur waren gezeichnet von beträchtlichem Hunger, von schlecht oder gar nicht geheizten Räumen, vom Anblick einer einzigartigen Trümmerlandschaft, aber auch von eindrücklichen Kunsterlebnissen auf den Bühnen und Konzertpodien."
Die Vorstellung, ich könnte hier eine Zeitreise machen, meine Grossmutter in ihrer Jugendzeit besuchen, meinem Berliner Ururgrossvater begegnen, ist eine seltsame. Es wäre ein Clash der Kulturen. Eine Verbildlichung des Vergehens der Zeit und der unaufhaltsamen grossen Veränderungen. Besonders in Berlin.

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Ich wünschte, meine Oma würde noch so gut schreiben können.
Sieht so aus, als wären deine Wurzeln hier und du würdest nach Berlin gehören. Zwecklos, sich dagegen zu wehren! :)

8/11/2006 12:46:00 AM  

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