Mittwoch, August 16, 2006

Hochdeutsch oder Hochdeutsch?

Sage ich Velo oder Fahrrad? Betone ich CD und WM auf der ersten oder der zweiten Silbe? Darf es mich wunder nehmen, oder soll ich mich besser fragen? Benütze ich beim Schreiben das mysteriöse ß? Darf ich meinen Akzent dem in Berlin üblichen Tonfall anpassen oder soll ich "schweizerisch selbstbewusst" tönen (oder doch eher klingen?)?

Das Dilemma zwischen Schweizer Hochdeutsch und deutschem Hochdeutsch ist omnipräsent. Manchmal schäme ich mich für meine für Schweizer Verhältnisse sehr angepasste Aussprache und Redeweise, weil ich weiss, dass sie für viele Schweizer Ohren arrogant klingen würden. Andererseits reden ja die Schwaben und Bayerinnen in Berlin meist auch nicht schwäbisch oder bayrisch, sondern Standardsprache. Sogar Berlinerisch wird in formelleren Situationen und Kreisen tunlichst vermieden.
Warum sollte ich dann, wenn schon nicht richtiges Schweizerdeutsch, nicht gerade so sprechen, damit es möglichst wenig zu erklären gibt? Zum Beispiel was Trottoir und Lavabo bedeuten, dass wir in der Schweiz Nadine und Nathalie wie auch Café und Milchkaffee anders betonen.
Gibt es nicht ohnehin schon genügend interkulturelle Verständigungsprobleme? Zudem möchte man vielleicht auch einfach nicht immer "süüüß" sein, sobald man die Schweizer Lippen auseinanderbewegt.

Genau umgekehrt geht es einem Deutschen in der Schweiz, der seine genauen sprachlichen Beobachtungen auf der Blogwiese festhält. Vor kurzem stellte er sich da die Frage, woher das Deutschlandbild der Schweizer stamme. Er vermutet, es könnte am ungeliebten Deutschunterricht in der Schule liegen, worüber in der Schweiz folgende Aussagen gemacht würden:
  • Der Lehrer hat uns immer korrigiert, wenn wir Deutsch sprachen.
  • Es wurde uns gesagt: „Das lernt ihr nie, überlasst das lieber den Deutschen“.
  • Wir sollten Schweizer-Hochdeutsch sprechen, und nicht den spezifischen Deutschen Tonfall nachahmen.
  • Die Lehrer konnten es selbst nicht richtig und versprühten auch keine grosse Begeisterung für das Hochdeutsche.
  • Hochdeutsch war immer ein „Zwang“ für alle, bei jeder Gelegenheit wurde eine Entschuldigung gesucht und gefunden, jetzt doch plötzlich Mundart reden zu dürfen.
  • Auf Hochdeutsch kann man nicht über Gefühle reden.
  • Und dann treffen diese Schweizer irgendwann ihren ersten echten Deutsche, der mühelos so spricht, wie sie es selbst in der Schule auch mit Anstrengung nicht hinbekommen haben, und dem sie sich sofort argumentativ unterlegen fühlen. Schlussfolgerung: Man ist der aber arrogant! (Quelle: Blogwiese)
    Wer noch nie so gedacht hat, werfe den ersten Stein!

    Es wird wohl immer eine hoch emotionale Angelegenheit bleiben, in welchen Situationen und vor allem wie Schweizer Landsleute Hochdeutsch reden. Die angepasst Redenden werden sich weiterhin etwas schämen für die betont schweizerisch Redenden, die gleichzeitig immer auf ein Schweizer Selbstbewusstsein pochen (was manchmal schon fast wie eine Entschuldigung klingt). Diese wiederum werden auch in Zukunft die angepasst Redenden als etwas gekünstelt und arrogant wahrnehmen.
    Aber ich hoffe doch, dass der in den letzten Jahren mal durch die Schweizer Presse geisternde Vorschlag vom Tisch ist, der noch vor zwei Jahren auf der Frontseite der NZZ am Sonntag stand:

    Braucht die Schweiz mehr Lehrer aus Deutschland?

    Mehr Lehrer aus Deutschland täten Schweizer Schülern gut: Mit dieser Äusserung hat der Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz, Hans Ulrich Stöckling, zum Wochenende für Aufregung gesorgt.

    3 Comments:

    Anonymous Anonym said...

    Auf Hochdeutsch könne man nicht über Gefühle reden? Wie machen das die Deutschen dann, auf Englisch? Ist das deutsche "Ich liebe Dich." denn so viel schlechter als "I ha Di gärn."? Und, mal ehrlich, funktioniert das Reden über Gefühle denn auf Mundart?

    Für mich als Deutschen in der Schweiz stellt sich das eingangs geäusserte Problem übrigens genauso. Ich merke, dass sich auch meine Betonung verschiebt, so dass ich wohl zu Hause ein bisschen komisch klingen werde. Und mir rutscht in Deutschland schon öfter mal ein "Merci" heraus, "Danke" klingt doch beinahe schon suspekt ... Zudem vermisse ich Ihr Mysterium sehr, ich halte das Eszett für notwendig, und die Tatsache, dass es auf meiner schweizer Tastatur nicht einmal mehr drauf ist und dass diese ohnehin ziemlich anders aussieht als eine deutsche, macht mir selbst nach Jahren noch einige Probleme. (Warum beispielsweise sind + und ! vertauscht???)

    8/16/2006 07:52:00 AM  
    Blogger Sarah said...

    Die Frage mit der Tastatur ist sehr berechtigt! Man könnte sich vorstellen, dass man sich im deutschsprachigen Raum auf eine einheitliche Klaviatur hätte einigen können... Aber die Deutschschweiz braucht nun mal das ß nicht (andere zwar auch nicht, aber die würden es aus Nostalgie-Gründen vermissen) und Deutschland mit einer Landessprache braucht keine prominent platzierten é, è und às auf der Tastatur. Für das @ ist für mich an einem deutschen Computer auch immer wieder eine ausführliche Suche nötig.

    Zu den Gefühlen: Gemeint ist wohl die Tatsache, dass sich für die meisten in der Deutschschweiz "Hochdeutsch"/Standardsprache wie eine Fremdsprache anfühlt. Und Gefühle kann man eben so am besten ausdrücken, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Und das ist nun mal für die meisten (ausser die Hannoveraner und ein paar andere Norddeutsche), und für Schweizerinnen besonders, der Dialekt.

    8/21/2006 01:11:00 PM  
    Anonymous Anonym said...

    Ist das der Zug nach Frankfurt, Oder?

    8/31/2007 12:00:00 AM  

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