Montag, November 20, 2006

Schöner Leben in Zürich

Brandneu: das Wohnungs- Verschönerungs- Kleinplakat, das als Innenwerbung dem Kampf gegen Plakat-Aussenwerbung dient. Aus diesem Anlass widmet sich heute Züri-Berlin dem leider zunehmend aussen beworbenen Stadtbild, das ihm als klassisches Stadtblog natürlich am Herzen liegt.

Der aufmerksamen Züri-Berlin-Leserschaft dürfte es nicht entgangen sein: statt einer klassischen Blogroll, die sich seriöser Bloggende halten, wurde hier zwar sparsam verlinkt, aber nicht zuletzt auch zur erhabenen IG Plakat | Raum | Gesellschaft, die sich mit viel Herzblut dem Ästhetikempfinden und der Reizüberflutung urbaner Menschen in Zürich annimmt.






Gegen Werbung kann man grundsätzlich kaum etwas haben, schliesslich finanzieren Inserate, gut getarnte Publireportagen, Schleichwerbung und andere Werbeminuten auch seriöses Geschreibsel und Gerede in der Kommunikationsbranche. Die Frage lautet, an welcher Stelle wir uns mit kauffreudigen Botschaften, schön formulierten Lügen, professionellen Bildmanipulationen und durchaus auch ernst gemeinten Produktangeboten zur Weltverbesserung umzingeln lassen wollen. Die IG P | R | G (es sei hier übrigens offen gestanden, dass Züri-Berlin mit der IG verbandelt ist, bevor es noch zu Schleichwerbungsvorwürfen kommen sollte) findet, dass der öffentliche Raum nicht an Plakatgesellschaften ausverkauft werden sollte, insbesondere nicht von der öffentlichen Hand selbst. Speziell fehl am Platz ist auch das Argument, dass wir Geld sparen würden, wenn wir uns den lieben langen Tag Kampagnen unter dem nur beschränkt erotischen Motto "Totally sexy" anschauen, fragwürdige Fusionen einer hip gewordenen Billigproduktelinie aus der Lebensmittelbranche mit dem Kreditkartenbusiness im Grossformat verfolgen oder im Zürich HB mehr Werbung als Bahnhof sehen. Eine Verlagerung von störenden Plakatflächen könnte zudem dem Anzeigengeschäft seriöser Printmedien wieder Aufwind verleihen, um damit dem grassierenden Pendlerzeitungsvirus die Stirn zu bieten oder auch tolle Blogs mit lukrativen Bannern auszustatten.

Züri-Berlin bleibt übrigens bei Bestechungssummen unter einem fünfstelligen Betrag in Schweizer Franken (auch € würde entgegengenommen) weiterhin werbefrei. Als Werbepartner würden ohnehin am ehesten Billigfluglinien in Frage kommen, die sich ebenfalls mit Verbindungen zwischen Züri und Berlin beschäftigen. Nicht mit ganz so viel irrelevantem Wortreichtum, aber mit etwas mehr Kerosin, was leider den Idealen abträglich ist. Das Leben dreht sich doch insgesamt um die schmerzliche Entscheidung zwischen Geld und Idealen.

Immerhin gibt es noch Möglichkeiten, hier überflüssiges Kleingeld für ein schöneres Zürich loszuwerden oder sich wenigstens ruhmreich namentlich mit Stadtverschönerung in Verbindung zu bringen, wo auch immer man wohnt, welchen Alters man ist und welche Passfarbe man gerade trägt. Wer visuelle Umweltverschmutzung für ein völlig übertriebenes Luxusproblem hält, kann gutmenschlichen Willen auch mit einer neuartigen Methode einer Mikrokreditvergabe ins indigene ländlich-feminine Guatemala beweisen, auch wenn dies in deutscher Sprache noch nicht möglich ist. Bei der Riesenmaschine erklärt man sich das Problem damit, dass leider keine deutschsprachigen Kolonien mehr vorhanden sind. Ansonsten hätte man immerhin eigene Entwicklungsländer, die man von Websites aus mit Spenden überschütten könnte, die in der eigenen imperialistischen Sprache verfasst wären.

Treue Adbusters schlafen natürlich auch in Berlin nicht, deuten fleissig politische Werbebotschaften um und riskieren Kopf und Kragen, um aus aufdringlicher Bankenwerbung einen Bankenskandal zu machen, und um auf ein wahrlich unrühmliches Kapitel der neueren Berliner Stadtgeschichte hinzuweisen. (Bild: Wikipedia)


Mehr vom letztjährigen Wirbel um weisse Werbeplakate in Zürich findet sich an dieser Stelle. Weitere Texte mit netten W-Alliterationen gegen Werbe-Wucherung im öffentlichen Raum gab es im Tages-Anzeiger, im iQ und re:flex.

3 Comments:

Anonymous Anonym said...

Gestaltung des öffentlichen Raums Zürich vs. Berlin:

Zürich ist eine Monokultur bestehend aus kommerzieller nationaler und internationaler Werbung, etwas Graffiti (streng verfolgt) und kaum Kleinplakaten (Busse bis 10'000 Franken).
Fazit: Zürich offeriert Platz für die Gestaltung des öffentlichen Raums - vorausgesetzt der Scheck ist hoch genug.

In Berlin existiert jede Menge kommerzielle nationale und internationale Aussenwerbung - aber sie wird reizvoll kontrastiert durch flächendeckende Graffiti, Spray-Miniaturen, Kleinplakate mit Orts- und Kulturcharakter.
Fazit: In Berlin ist Platz für alle, die dem öffentlichen Raum Farbe einhauchen wollen.

11/21/2006 12:15:00 PM  
Anonymous Anonym said...

Schön, dass ihr mit eurer IG wieder aktiv seid...! In Berlin gab es vor Kurzem an der Fassade der Juristischen Fakultät der HU, also dem Hauptgebäude Unter den Linden gegenüber, eine riesige Plakatwerbung für irgendwelche Frauenunterwäsche, also vielleicht so 10 auf 20m groß 5 bis 10 Frauenobjekte von hinten zu sehen mit Sting-Tangas, standesgemäß als Bunnies aufgemacht...klar kann die Uni (bzw. noch komplizierter: eine Pergola wird dort von Bundesgeldern mitfinanziert aufgebaut, also keine Ahnung, wer letztlich über die Vermietung der Fassade entscheidet), wenn sie Werbung grundsätzlich erlaubt, nicht kontrollieren, wofür geworben wird, aber auch innerhalb der an Tiefpunkten reichen Berliner Tradition sexistischer Plakatwerbung war das ein starkes Stück...

11/22/2006 12:08:00 PM  
Blogger Sarah said...

Danke für die netten Kommentare!

Diesen Sommer gab es in Berlin - gar nicht so weit von der Aktion an der Humboldt Uni entfernt, die offenbar immer verzweifelter ihr Bildungsbudget aufzumöbeln versucht - eine weitere undemokratische visuelle Umweltverschmutzung in Berlin zu sehen:

Dom und Bunnies

Diese hätte durchaus ein paar Adbusters-Retouchierungen verdient gehabt.
Vielleicht hätte man aus den Bunnies ja Dom-aten machen können, was schliesslich viel besser an diesen Ort gepasst hätte.

11/22/2006 02:30:00 PM  

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