Freitag, August 04, 2006

Zürich vs. Berlin im "Tagesspiegel"


Zum 1. August hatte nicht nur die Schweizer Botschaft, sondern auch die Berliner Tageszeitung "Tagesspiegel" den Kanton Zürich zum Thema gemacht. Die Korrespondentin der NZZ in Berlin, Claudia Schwartz, schrieb für einmal für den "Tagesspiegel" und verglich in einer Beilage zu "Schweiz 2006" Zürich und Berlin unter dem Titel "Zwei Metropolen mit Kiezkultur - Das kleine Zürich und das große Berlin: In ihrer Lebensqualität ähneln sich beide".

In der Schweiz dürfte übrigens das Wort "Kiez" den meisten unbekannt sein, während es in Berlin alltäglich ist. Es bezeichnet einen überschaubaren, kleinen Stadtbezirk oder auch nur einen Teil davon. In Zürich würde man eher von "Quartiergegend" sprechen.

Spannend zu lesen ist Schwartz' Artikel nicht nur für jene, die sich selbst intensiv mit dem Verhältnis, den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den beiden Metropolen Zürich und Berlin auseinandersetzen. Es ist ein umfassender, flüssig zu lesender Vergleich - natürlich für eine gutbürgerliche Leserschaft verfasst. Es geht zum Beispiel um gegenseitige Vorurteile, um unterschiedliche gesellschaftliche und kulturelle Szenen und auch die grossstädtische Unfreundlichkeit, die mit einer witzigen Anekdote illustriert wird.

Treffend fand ich besonders auch den in der Printausgabe hervorgehobenen Satz:
"Nach Berlin kommt man, um sich zu finden, nach Zürich geht, wer schon etwas ist."
"Schweizer Kreative suchen in Berlin das Gesellschaftslaboratorium, deutsche Ärzte entfliehen dem deutschen Gesundheitssystem nach Zürich", folgt als Erklärung im Text.

Berlin bietet tatsächlich unerschöpfliche Inspirationsquellen für kreative Tätigkeiten, wie ich auch schon in den Einträgen "Heimat für Querdenkende" und "Literaturpreis im eigenen Haus" angedeutet habe. In der Aufbruchstimmung seit der Wende und dem rasanten Wandel (besonders in den ehemaligen Ostbezirken und entlang der ehemaligen Mauerstreifen) ist zudem Raum für Experimente. Da vieles noch im Bau ist oder bisher unsaniert geblieben ist, sind viele Ideen, Visionen und kreativer Gestaltungsraum vorhanden. Vielleicht zum Teil auch etwas gar viel Idealismus. Für junge, noch nicht ganz gefestigte Identitäten und unkonventionelle Lebensentwürfe sind diese Veränderungen der Stadt Berlin bei weitem ein angenehmeres Umfeld als das im Vergleich bis in den hintersten Winkel fertig gebaute und geputzte Zürich. Da weiss man auch besser schon, was man mal werden will. Um diese Frage kann man sich in Berlin jahrelang viel einfacher drücken.

Die Sonderbeilage zu "Schweiz 2006" des Tagesspiegels thematisiert neben dem Verhältnis von Zürich und Berlin auch das allzu diskrete Schweizer Bankgeheimnis, den neuen helvetischen Botschafter in Berlin, Christian Blickenstorfer, das innovative IBM Research Zürich, die Denkfabrik von Swiss Re im "Centre for Global Dialogue" in Rüschlikon und natürlich die Zürcher Lebensqualität. Die Freitag-Taschen sind der Zürcher Exportschlager und Zürich wird als historische Fluchtburg für Verfolgte und Emigrierte wie zum Beispiel Thomas Mann beschrieben. Auch zu den grenzüberschreitenden Aktivitäten der Schweizer Post ist ein Artikel in der Beilage. Ob dies wohl auch der Fall wäre, wenn nicht zufällig Swiss Post ihre Dienstleistung Business Mail International zwei Seiten weiter mit einem halbseitigen Inserat bewerben würde? Der Inserateschwund von Printmedien ist tatsächlich beklagenswert, sodass man fast schon zu verzeihen geneigt ist, obwohl die zunehmende Vermischung von redaktionellem und Werbeinhalt im Grunde skandalös ist. Und schliesslich durfte natürlich die Schweizer Schoggi nicht fehlen: Was erstklassige Schokolade auszeichnet: "Glatte Kante, keine Krümel". Dass das überhaupt anders sein kann, erfährt man eigentlich erst dann, wenn man mal keine Schweizer Schoggi isst, oder beleidige ich damit mal wieder belgische Landsleute?