Sonntag, Februar 25, 2007

Neuer Volkssport: German Bashing



Inmitten der aktuellen Querelen um den Quasi-Rassismus, der Deutschen in der Schweiz zunehmend entgegen schlägt, droht selbst das Brückenbauen zwischen Zürich und Berlin ungewollt zur politischen Aktivität zu werden.

Im Blick
Dieses Wochenende ging die Blick-Serie (helvetisch: Seriiiii, teutonisch: Seeeeerie) "Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?" zu Ende. Die Frage bleibt, wie sehr "vertragen" in diesem Kontext selbst für helvetisches Hochdeutsch noch verträglich, nein, natürlich erträglich ist. Der Blick ist sich seiner Zielgruppe scheinbar sehr bewusst, und weiss, dass jene, die den doch beachtlichen deutschen Bevölkerungszuwachs beargwöhnen, wohl kaum "ertragen" sagen würden.



Die Debatte ist natürlich nicht neu, auch die Hochschulen beschäftigt das Thema anti-deutsche Reflexe in der Schweiz immer mal wieder. Seit wenigen Wochen erleben wir allerdings geradezu eine Hochkonjunktur des German Bashings.

Im Schweizer Fernsehen
Er hat sich zum Sprecher der deutschen Auslandgemeinde in der Schweiz gemausert, indem er sich mit humorvollen und sehr konstanten Analysen einen Expertenstatus erbloggt hat: Jens-Rainer Wiese wurde Anfang Februar zusammen mit anderen Deutschland-Schweizern und Schweiz-Deutschen zu einer Sendung im Schweizer Fernsehen eingeladen. Er diskutierte mit der schlagfertigen Berlin-Zürcherin Michèle Roten, die leider gar wenig zu Wort kam (immerhin bekamen unzählige "Michèle Roten Bild"-Googelnde sie endlich mal zu Gesicht), dem offenbar von den Medien falsch zitierten deutschen Botschafter in der Schweiz, einer in der Schweiz wohnhaften deutschen Schauspielerin und dem Schweizer Autor Adolf Muschg, der in Berlin die Akademie der Künste geleitet hat. Zu Gast war schliesslich auch der heiss umstrittene SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli (eine we-love-to-hate-Person in links-liberalen Kreisen), der wie es sich für einen wahren Schweizer Volksvertreter seiner Partei gehört, dem "Volk" nach dem Mund redete: Deutsche seien belehrend ("Pass mal auf...") und würden als arrogant wahrgenommen.



Fussball, FACTS und Elmar
Doch es tat sich noch mehr an der helvetisch-teutonischen Front: Zwei Tage nach der Sendung verlor die Schweizer Männerfussball-Nationalmannschaft 1:3 gegen Deutschland. Nach dem Spiel steckt das Schweizer Team in einer mittleren Krise.

In der Zwischenzeit titelte auch der Schweizer "Spiegel", das Nachrichtenmagazin FACTS: Die Deutschen - Wo liegt das Problem?

Der Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber veröffentlichte ebenfalls praktisch zur gleichen Zeit einen offenen Brief in süddeutschen Zeitungen. Aktive Diplomatie im schweizerisch-deutschen Flugstreit. Der Tages-Anzeiger meldete, Ledergerber hätte die Süddeutschen mit Stammtischparolen provoziert, die NZZ berichtete von empörten Reaktionen. Ein deutscher Leser der NZZ am Sonntag attestierte Ledergerber hingegen Kommunikationstalent: "So redet man mit Deutschen".

"Deutschland light" und Versöhnung
In kurzer Zeit wurde das Thema Deutsche in der Schweiz mit einem hohen Emotionalitätsfaktor versehen. Sprachliche und andere Minderwertigkeitskomplexe treiben wilde Blüten und besonders die Angst, der manchmal ungeheure Schweizer Wohlstand könnte geschmälert werden, indem man ihn neben Ausländern und Sozialschmarotzerinnen auch noch mit den nördlichen Nachbarn teilen müsste, sitzt tief. Das Boot ist angeblich voll. Das hiess es allerdings bereits in den 60er Jahren.



Um löbliche Integration bemüht, ist neben der Blogwiese auch Hallo Schweiz. Dort werden Deutsche in praktische helvetische Eigenheiten eingeführt und mit Verweis auf eine Radiosendung vorgewarnt: "Für viele Deutsche ist die Schweiz nicht Ausland, sondern eine Art Deutschland light. Ein Irrtum, denn die Schweiz tickt anders als der grosse Nachbar im Norden. Im Bemühen, hier Fuss zu fassen und Freunde zu finden, stossen viele deutsche Familien auf unsichtbare Mauern."

Deutschland, und Berlin im Besonderen, sei dringend dazu aufgerufen, die Zahl der Schweizer Ansässigen, Aufenthaltsbewilligten und Wochenendjetter zu veröffentlichen. Ausmärsche relativieren angebliche Einmärsche: Roger Schawinski durfte sich im deutschen TV austoben, Jörg Kachelmann hat den Deutschen mit seinem besonderen helvetischen Charme „Blumenkohlwolken“ gebracht und Roger Köppel der Welt das Fürchten gelehrt, bis sie sich wieder eine Woche anhängte und nach Helvetien zurückkehrte.

Und wenn die BLICK-Schweiz schon keine Deutschen mehr verträgt und folglich Deutschland die arrogante Schweiz nicht mehr erträgt, plädiert Züri-Berlin schlicht dafür: Vertragen wir uns wieder.

Freitag, Februar 09, 2007

Einzigartiges Züri-Berlin?



Man könnte annehmen, dass sich Züri-Berlin mit leidenschaftlicher Hingabe der grössten Stadt der Schweiz und der deutschen Wiederhauptstadt widme. Genauso gut könnte es sich um eine Verwechslung handeln, denn auch Städte sind weniger einzigartig als sie möglicherweise gerne wären.

Was für divenhafte Grossstädte eine Ernüchterung ist, kann für Züri-Berlin allerdings nur von Vorteil sein: Wenn die geliebten Städte einst wie ausgepresste Zitronen darnieder liegen werden, dann muss neuer Stoff her. Zum Beispiel über die Papierindustrie und den Wintersport in Berlin (New Hampshire), die Rinderzucht in Berlin (Kentucky), das Wetter in Berlin (Arakansas), die Autowerkstatt in Berlin (West Virginia) oder News aus irgendeiner weiteren der unzähligen anderen gleichnamigen Ortschaften jenseits des grossen Teichs.
Wenn Menschen schon mal die Chance haben, einen Ort zu benamsen, scheint es, als bringe die Sehnsucht nach der verlassenen Heimat horrende Einfallslosigkeit mit sich. Es lohnt sich also kaum, von zu Hause fortzugehen, denn – ehe man sich's versieht – wohnt man wieder am gleichen Ort.

Aus Berlin in Seedorf, Schleswig-Holstein, gäbe es wohl ebenfalls etwas zu berichten und sonst eben über Berlin in Südafrika oder den Mount Berlin, einen Doppelvulkan in der Antarktis.

Wenn schliesslich auch die Geografie nichts mehr taugt, müssen sich der russische Komponist Irving Berlin, der deutsche Augenarzt Rudolf Berlin, der britische Philosoph Sir Isaiah Berlin oder der ehemalige deutsche Politiker August Berlin mit bloggenden Huldigungen abfinden. Und wenn sie es nicht tun, sticht Züri-Berlin zuerst friedlich mit dem Kreuzfahrtschiff Berlin in See und droht mit dem Einsatz des Kriegsschiffs Berlin.


Vergrösserung per Mausklick ist empfehlenswert.

Das liebe Zürich ist in Nordamerika bloss sechs Mal vertreten (im Gegensatz zu Berlin aber immerhin auch in Kanada), und büsst erst noch seinen charakteristischen Umlaut ein. In Illinois gibt es ein Zurich inklusive Zürisee. Ein weiteres Alias meiner Heimatstadt befindet sich in der holländischen Gemeinde mit dem wunderbaren Namen Wûnseradiel.

Während Zürcherinnen bloss von Umhängetaschen Kokurrenz zu befürchten haben, wollen neben Kennedy in seiner berühmten Rede noch ganz andere Berliner sein: Stoffbehausungen des Schweizer Militärs und der Pfadfinder, Zeitungsformate, österreichische Fussball-Varianten und Manager sowie deutsche Wirtschaftsexpertinnen.

In den USA amüsiert man sich offenbar seit den 80er-Jahren über Kennedys Ausspruch ("Ish bin ein Bearleener") vor dem Rathaus Schöneberg von 1963. Man glaubt dort, das deutsche Publikum habe die Wendung wegen des in diesem Kontext unüblichen unbestimmten Artikels ("Ich bin ein Berliner") so verstanden: "I am a jelly doughnut", obwohl das angeblich gar nicht stimmt. In Zürich ist für die meisten Kinder jedenfalls klar: Berliner sind etwas besonders Leckeres.

Fotos: Screenshots der Berlins- und Zurichs-Websites, Webshop Schnell Velos, Wikipedia

Donnerstag, Februar 01, 2007

Von Texten, Geld und Bäumen

Hätten Blog-Einträge einen Geruch, würde es jetzt ziemlich vergammelt riechen. Da es sich mit dem Verfalldatum von digitalisierten Buchstaben nicht wie mit jenem eines Schoko-Kokosnuss-Joghurts verhält, setze ich Ihnen Folgendes vor, auch wenn ich es von ganz weit unten aus der Entwurfs-Kiste hervorgekramt habe. Und falls es trotzdem übel riechen sollte: Halten Sie sich einfach die Nase zu und surfen Ihres Weges.

Texts Don't Grow on Trees

Es gilt in Zureich, in Arm, aber sexy-City und andernorts. Die brotlose Frage ist zeitlos: Wie lassen sich Kunst, Kreativität und Lebensunterhalt miteinander vereinbaren?

Die Werbebranche schafft zumindest der Kombination Kreativität & Lebensunterhalt Abhilfe. Wie sieht es aber aus mit Kreativität & Anspruch & Idealen, wenn man Text und Gestaltung von Geschäftsberichten von imperialistischen Getränkefirmen übernimmt, Innovatives für Firmen ersinnt, die auf dem chinesischen Automarkt expandieren wollen, das Corporate Design grosser Agrarfirmen modernisiert, die anderswo horrende Landwirtschaftssünden begehen, während wir in Westeuropa mit dem guten Geld aus der PR-Branche Bio-Produkte erwerben?

Bleibt noch die liebe Kunst. In Berlin fällt auf, dass sich da viele (zumindest auffällig mehr als in Zürich) tummeln, die es ernsthaft damit versuchen wollen. Von einigen wenigen hört man so einiges und nimmt an, sie könnten einigermassen von ihren Bands, Blogs und Büchern leben, von vielen anderen ist kaum etwas bekannt. Die potenzielle Brotlosigkeit wird im Allgemeinen durch niedrige Wohnkosten gelindert und das Naturgesetz des Netzwerkeffekts besagt, dass je mehr Kunstschaffende irgendwo schon sind, die Wahrscheinlichkeit auf noch mehr steigt. So geschehen in der deutschen Wieder-Hauptstadt.

brotlos? - Die Ausstellung
Eine Züri-Berlin-Erasmus- Mitstreiterin hatte sich vor vielen Monaten über meine absichtlich provokative These im frühen Eintrag Heimat für Querdenkende echauffiert: Dass vielleicht die ökonomisch weniger auf Rosen gebetteten Verhältnisse in Berlin zu blühenderer Kreativität führe als im wohlgenährten Zürich. Einen bissigen Blog-Kommentar hat sie bisher höflich verschwiegen, schlug aber stattdessen vor, dass wir uns in Zürich die Ausstellung brotlos? – Vom Schreiben und vom Geld ansehen. Die NZZ berichtete unter dem Titel Belles Lettres und hässliche Zahlen über die wirklich sehr empfehlenswerte, aber leider nun nicht mehr aktuelle Ausstellung (hier würde man den modrigen Duft besonders gut riechen). Noch immer zugänglich ist aber die Wegleitung zur Ausstellung und eine Zitatensammlung.

Meine Lieblingszitate:

  • When bankers get together they talk about art. When artists get together they talk about money. vom erhabenen Oscar Wilde
  • Geld allein macht nicht unglücklich. Curt Goetz
  • Je sais enfin ce qui distingue l'homme de la bête: ce sont les ennuis d'argent. Jules Renard
  • Die richtige Einstellung dem Geld gegenüber ist die einer begehrlichen Verachtung. Henry Miller
  • Vielleicht verdirbt Geld tatsächlich den Charakter. Auf keinen Fall aber macht ein Mangel an Geld ihn besser. John Steinbeck
  • Chi vive di penna vive di pena. Modo di dire

Podium in Zürich
Zurzeit läuft die Vernehmlassung zu einem schweizerischen Kulturförderungsgesetz. Eine der umstrittensten Ideen ist die Einrichtung einer Künstlersozialversicherung, mit der die oft prekäre materielle Situation freischaffender Künstlerinnen und Schriftsteller im Alter abgesichert werden soll. Eine Idee mit kulturpolitischem Zündstoff, wie die Podiumsdiskussion im Literaturhaus im Rahmen der brotlos?-Ausstellung im November (auch hier stinkt es) zeigte. Zum Thema Staatliche Sozialversicherung für freie Schriftsteller? diskutierten SP-Nationalrätin Vreni Müller-Hemmi, FDP-Nationalrätin Christa Markwalder Bär, Dr. Peter A. Schmid, Geschäftsleiter AdS und Prof. Dr. Monika Bütler, Ökonomieprofessorin Universität St. Gallen.

Die deutsche Künstlersozialkasse sei in ihren Augen gescheitert, liess Monika Bütler verlauten. Als Beweis brachte sie eine 4 Meter lange Papierrolle mit, auf der alle jene Berufsgattungen aufgelistet seien, die sich nun auch als Künstlerinnen und Künstler verstanden wissen möchten. Besonders die junge FDP-Nationalrätin Christa Markwalder zeigte kein Verständnis für staatlich sozialversichertes Kunstschaffen. Es entstand der Eindruck, dass sie selbst gerne Musikerin geworden wäre, aber sich dann doch den weniger brotlosen Rechtswissenschaften und schliesslich der Politik zugewandt hat. Ihr eigener Verzicht legitimiert wohl nicht die soziale Sicherheit jener, die sich in die selbstverschuldete Brotlosigkeit begeben haben. Eine Altersvorsorge wäre auch Ausdruck gesellschaftlicher Anerkennung, hiess es aus dem relativ kleinen, mittelalterlichen Publikum. Frau Markwalder konterte, dass es um die Anerkennung von Politikerinnen auch nicht besser stünde. Mit der finanziellen Anerkennung allerdings schon, dachte sich wohl das geneigte Publikum. Peter A. Schmid, Geschäftsleiter der AdS, versuchte immer wieder klar zu machen, dass es hauptsächlich darum ginge, staatlich geförderte Kunstschaffende nach Ablauf ihres Werkjahres keinen Schikanen vom RAV auszusetzen. Und wie so oft, redete man nur scheinbar vom selben.

Podium in Berlin
Auch in Berlin wurde versucht, den Kontakt zwischen Politik und Kulturschaffenden an einem Podium herzustellen. Die digitale Bohème hat vergangenen Sommer (hier stinkt es gar unerträglich nach gammligen News) eigenhändig zum Thema "Kulturpolitik und digitale Bohème – neue Formen der Kulturarbeit" eingeladen. Ein inzwischen abgewählter Kultursenator sass zwischen Spreeblick-Haeusler, Riesenmaschine-Lobo und ZIA-Friebe, Ex-Universal-Renner und Club-Schulz. Man wartete vergeblich auf Bachmann-Passig, während Haeusler klar machte, dass er in Sachen Kultur - im Gegensatz zu Friebe - nicht mehr auf die Politik hoffe. Lobo schlug ein gemeinsames A4-Papier mit den wichtigsten politisch relevanten Anliegen der Bohème vor. Prominenteste Forderung war ein kostenloses W-LAN für ganz Berlin, um damit "intelligentes Leben jenseits der Festanstellung" (das inzwischen bestsellende Buch wurde mehrfach angekündigt) zu vereinfachen.

Was übrig bleibt
Wer sich gar nicht verkaufen möchte (und sogar poetische Publireportagen verschmäht), bleibt brotlos, frönt dem Mäzenatentum oder hofft auf das gesicherte Existenzeinkommen. Eine engagierte Lobby arbeitet bereits hart an der Initiative Grundeinkommen. Denn glaubt man der Authors' Rights Awareness Campaign wachsen Texte und ähnliche Produkte offenbar genauso wenig auf Bäumen wie das liebe Geld.