Freitag, Mai 25, 2007

Nur Fussball rettet die Welt

"Wär nöd gumpet, isch kän Zürcher, hoi, hoi!"

Der FC Zürich ist seit gestern Schweizer Fussballmeister. Obwohl ich lieber selber Fussball spiele als zuschaue, verfolgte ich gestern nach dem Training mit meinem Team das entscheidende Spiel. Die Stimmung in unserer stickigen und masslos überfüllten Stammkneipe "El Lokal" war ergreifend und wunderbar heiter. Der FC Basel wurde mit dem Sieg des FCZ auf den zweiten Platz verwiesen. Der Beweis: Fussball ist die wirkungsvollste Verkaufsförderung für Städte. Daneben kann - zumindest innerhelvetisch - jegliches Standortmarketing unter dem Titel "Zurich - Downtown Switzerland" einpacken.

Im vergangenen WM-Sommer versuchten wir an der Humboldt Universität zu Berlin, dem Geheimnis des Fussballs auf die Spur zu kommen. Es wurde damals viel philosophiert und auch viel ge-blabla-t. Die populäre Faszination konnte dennoch nicht richtig entschlüsselt werden. Die heile Fussballwelt ist der kleinste gemeinsame Nenner von Menschenansammlungen.
Alles andere ist Privatsache: ob man mit dem Vieltelefonierer-Handy-Abo sunrise relax super spricht, Migros Budget Mobile ohne Abo oder E-Plus Videotelefonie, ob man agnostisch, patchworkreligiös oder hinduistisch ist, ob man arbeitet oder mit einem von der Sozialhilfe bezahlten BMW durch die Stadt kurvt, ob ich ein Paket mit der Post, mit DHL, per Velokurier, GLS oder Hermes PaketShop versende, was Mann mit Frau, Frau mit Mann und Frau (oder in allen anderen erdenklichen Kombinationen) tut und ob man dafür den Trauschein einholt oder nicht, ob man Bio-Äpfel verspeist oder nicht, ob man Systeme lieber mit mikroweichen Fenstern, angebissenen Äpfeln oder freien Pinguinen betreibt, ob man nach dem Besuch des stillen Örtchens die Hände wäscht oder nicht.
Im Grunde alles egal, "muss doch jede und jeder selbst wissen, nicht wahr." Jawohl, wir üben uns brav im Umgang mit der quasi totalen Freiheit und Beliebigkeit. (Ende des Exkurses, der mich wohl unverkennbar als Vertreterin einer mit Möglichkeiten allzu verwöhnten Generation brandmarkt)

Kein Wunder, dass Fussball das einzige ist, was in der beschriebenen Gesellschaft noch ein Gemeinschaftsgefühl auszulösen vermag.
Da jubelt und hupt Zürich, fühlt sich in seiner Schweizer Vormachtstellung bestätigt und die restliche Schweiz hasst Zürich noch ein bisschen mehr dafür. Dass die FCZ-Torschützen so waschechte Zürcher Namen wie Francileudo Silva dos Santos und Xavier Margairaz tragen, ist wahrscheinlich sogar den Patrioten der einbürgerungsfeindlichen Zürcher SVP egal. Hauptsache Zürich. Zürich über alles.

Vielleicht würde ein Sieg von Hertha BSC dem Berliner Pleite-Image sogar mehr helfen als Bürgermeister Wowis neuer Stadtslogan: "Berlin - Stadt des Wandels". Auch wenn dies noch ein Arbeitstitel für die Imagekampagne ist, wird es jeder neue Slogan sehr schwer haben, Wowis unsterbliches Attribut für Berlin zu verdrängen: "arm, aber sexy". Darum: "Wer nicht hüpft, der ist kein Berliner!"

Update:
Was ich nicht wusste, als ich haltlose Dinge über Fussball, Städte und den Berliner Fussballclub Hertha BSC von mir gab: Dass der FC Zürich-Trainer Lucien Favre möglicherweise nächstens Trainer von Hertha BSC wird.

Der Stadtwanderer von Bern (aka Politologe der Nation Claude Longchamps) ist übrigens dieser Tage Stadtwanderer von Berlin und schreibt interessant über den Checkpoint Charlie (wohl jene Berliner Sehenswürdigkeit, die an Unauthentizität kaum zu überbieten ist), die charmante Berliner Servicekultur und erwähnt auch die "Stadt des Wandels".

Donnerstag, Mai 24, 2007

Züri-Berlin im Textil-Nirvana

Meine Städte-T-Shirts mussten neulich in eine andere Lebensform ausserhalb des RAKKE-Kleider- schranks und jenseits meines Oberkörpers transzendieren. Kurz davor wurden sie immerhin noch digital memoriert und finden nun hier ihre Gedenkstätte.

1. Zürich aus Zeiten des Phonetik-Kurses an der Uni, wo man das Internationale Phonetische Alphabet bis zum Abwinken üben musste.

2. Ein touristisches Berlin-T-Shirt, das als Spoof Ad den Coca Cola-Schriftzug mit einem tollen Berliner Stadtteil unterwandern sollte. Damals war ich grad so richtig fasziniert von der Adbusters-Bewegung. Dass ich ein Jahr später mal in Kreuzberg wohnen würde, stand damals natürlich noch auf keinem hellseherischen Werbeplakat, dessen Botschaft man subversiv hätte untergraben können. Inzwischen glaube ich allerdings, ein wenig ernüchtert, dass nicht selten das Unterwandern von Botschaften im Grunde dieselben stärkt. So gibt auch das "coole" Kreuzberg dem in bestimmten Kreisen als "uncool imperialistisch" geltenden Cola-Schriftzug eher Auftrieb. Da müssen Afri, Fritz und Mecca noch gewaltig Kohlensäure geben, um je an ihr politisch unkorrektes Vorbild heran zu kommen.

Noch nicht im textilen Nirvana, sondern inzwischen des öfteren an meinen Beinfortsätzen, befinden sich diese schwarzen Socken. Meine liebe Cousine schenkte sie mir nach der turbulenten Rückkehr in die Heimatstadt.
Die Fusshülsen tragen den einfühlsamen Namen sensitive berlin und waren wunderbar sensibel verpackt. So sensibel, dass es Monate gedauert hat, bis ich sie endlich enthüllt und in die armen empfindlichen Dinger angemessen mit Füssen getreten habe.

Sonntag, Mai 13, 2007

Krawalle am 1. Mai: Ein Züri-Berlin – Privileg

«Gesellschaftliche Geschwüre», wie sie die Zürcher Stadträtin Esther Maurer in einem Interview bezeichnet, in Form von 1. Mai-Ausschreitungen, sind eine exklusive Züri-Berlin-Verbindung, wenn man dem Tages-Anzeiger-Interview Glauben schenkt.

Seit den Ursprüngen meiner Zürcher Kindheit, gehört für mich zum 1. Mai die Nachdemonstration des "Schwarzen Blockes", auch wenn ich das nie direkt zu sehen bekam.
Dass auch in Berlin jeweils an diesem Tag Unzimperlichkeiten geschehen, überraschte mich deshalb vor einem Jahr ganz und gar nicht. Nachdem ich mich in Berlin-Kreuzberg ans Strassenfest begeben hatte, konnten meine besorgten Verwandten aus dem tiefen Westberlin fast nicht glauben, dass ich dies überlebt haben sollte. Sie hatten mich beschworen, meine Kreuzberger Wohnung am unseligen 1. Mai nicht zu verlassen. Viel zu gefährlich. Es war schlussendlich ein wunderschönes Fest rund um den Mariannenplatz und die Oranienstrasse. Als später doch noch Mülltonnen brannten, waren wir längst weg, die Mägen voll von Köstlichkeiten.

Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es in anderen europäischen Städten keine 1. Mai-Krawalle geben soll und dass es ein Privileg der lieben Achse Zürich – Berlin sein soll, mit «gesellschaftlichen Geschwüren» beglückt zu werden. «Geschwüre», die alljährlich dasselbe provokative Theater aufführen wollen, bei dem die Rollen immer gleich verteilt werden und bei dem am Ende alle zu Tränen(gas) gerührt sind, sodass sich niemand mit Forderungen zu verbesserten Arbeitsbedingungen auseinandersetzen muss.
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Rührend war im Übrigen auch der gestrige serbische Sieg am Eurovision Contest mit der Kitschballade «Molitva», für deren Tränendrüseneffekt ich mich in erstaunlicher Weise erwärmen kann. In Berlin dürfte man sich über das Abschneiden von Frauenregent Roger Cicero genauso in den Haaren liegen wie in Zürich über die vielleicht doch nicht ganz so lebendigen Vampire von DJ Bobo und die angebliche Ostblock-Verschwörung.