Samstag, April 29, 2006

Das Mysterium ß

Ich bin noch immer ganz fasziniert von diesem wunderschön schnörkeligen Buchstaben, der sich mehr und mehr in meinen Alltag hineinflicht. Allerdings gab es meines Wissens in der Schweiz noch nie ein lebensgefährliches Missverständnis, bloss weil wir –ss– und nicht ß geschrieben hätten. Vielleicht haben schriftliche Liebeserklärungen aus der Schweiz, die an Deutsche gerichtet waren, schon zu verwirren vermocht: Während man in der Schweiz nämlich über alle Massen liebt, tut man es hier gemäßigter, nämlich über alle Maßen.

Doch bei aller Liebe zum Altbewährten: Ich halte die Schweiz für geradezu ungewöhnlich fortschrittlich, dass sie sich schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dazu entschieden hat, eine unnötige Komplikation aus dem Weg zu räumen. Die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich beschloss nämlich bereits 1938, das ß nicht mehr zu lehren. Die NZZ schrieb immerhin noch bis 1974 mit ß – war allerdings die letzte Schweizer Tageszeitung, die sich davon verabschiedete.

Sich als Schweizerin mit den Geheimnissen des ß (in der Schweiz Doppel-s genannt, in Deutschland Eszett) vertraut zu machen, ist keine leichte Angelegenheit, besonders in den Wirren der Rechtschreibereform. Zu lernen wäre die neue Regelung zwar einfacher, da sich diese aber nicht wirklich durchgesetzt hat, sind der Kuß und daß noch immer allgegenwärtig, obwohl sie jetzt eigentlich auch hier Kuss und dass sein müssten. Die Küsse sind nicht reformiert worden, das waren sie schon früher. Das ist alles ein bisschen – früher bißchen – verwirrlich.

Aus ästhetischer Sicht haben Schweizer Augen im Vorfeld der „Germany 2006“ einen schweren Stand. Es könnte nämlich der Eindruck entstehen, es handle sich beim allgegenwärtigen anstehenden Großereignis um die FUBBALL-WM. „FUßBALL“ wirkt neben dem optisch ausbalancierten „FUSSBALL“ schon etwas ungelenk.

Freitag, April 28, 2006

Rund um die Fussball-WM 2006



Die Fussball-WM 2006 durchdringt zunehmend den Berliner Alltag. Nicht nur der Fernsehturm erinnert täglich an das nahende Grossereignis. Die Stadt ist auf das Runde, das diesen Sommer besonders in Deutschland ins Eckige muss, in vielfältiger Weise vorbereitet. Eine laufend aktualisierte Sammlung aller möglichen Ausschlachtungen des Themas findet sich auf meiner Flickr-Fotoseite.

Leider mussten zum Teil Bilder in Kaufhäusern ohne Blitz aufgenommen werden, um nicht ganz so viel Unruhe zu stiften. Ich entschuldige mich aus diesem Grund für gewisse Unschärfen.

Die Humboldt-Universität zu Berlin bietet im Fach Kulturwissenschaft zudem ein Seminar zu "Fußball - aus aktuellem Anlass" an. Da sollen alle möglichen kulturellen, politischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Aspekte rund um das Thema beleuchtet werden. Verspricht interessant zu werden. Ich bleibe jedenfalls am Ball - wissenschaftlich und auch sportlich - im BFC Südring Berlin.

Donnerstag, April 27, 2006

Meine Kreuzberger Umgebung




Eine kleine Dokumentation meiner Kreuzberger Umgebung findet sich hier.

Die Oberbaumbrücke, die mir sowohl als architektonische Augenweide, als Aussichtspunkt über die Spree sowie historisch als Grenzübergang am Herzen liegt, ist zwei Minuten von meiner Wohnung entfernt.
Ein Spaziergang führt durch die Schlesische Straße, dem Landwehrkanal entlang durch den Görlitzer Park durch die erblühenden Alleen.

Mittwoch, April 26, 2006

Fundraising à la Berlin

Ganz neu sind für mich die Methoden, mit denen in Berlin Geld an allen möglichen Orten gesammelt wird. Die U-Bahn wird zur Bühne für regelrechte Fundraising-Künstler. Die traditionelle Methode, mit Gitarre und Gesang das Kleingeld aus den Taschen zu locken, ist bloss eine aus einem ganzen Spektrum.

In Zürich gibt es "Sürpriiis Schtraaassemagaziiiin" (Surprise), das bloss an ganz bestimmten Stellen verkauft werden darf. Hier gibt es: "Strassenfeger", "Motz" und diverse andere ähnliche Produkte, die in der U-Bahn, in Cafés, auf öffentlichen Plätzen immer und überall an den Mann und die Frau gebracht werden. Früher hiess es einfach noch: "Häschmer zwei Schtuz" oder "Haste mal etwas Kleingeld", jetzt schiebt sich das Magazin als Alibi dazwischen. Origineller war kürzlich ein Rapper, der virtuos während einer Station in blumig-rauher Sprache eine Art Liebesbrief rappte und danach die Passagiere darauf hinwies, dass er alle Texte selber schreibe und dass man doch bitte etwas spenden sollte. Verwirrlich - und doch ein eindeutiges Echo auf die aktuelle Sozialpolitik - war ein anderer U-Bahn-Auftritt:
He Leute, ich wär sehr dankbar für ne kleene Spende für meine Ich-AG. Da soll man ja jetzt hinein investieren. Hat die Angie gesagt, als sie mich gestern angerufen hat. Also bitte schön.
Das war neben einer gewissen Aufdringlichkeit, die einer als Schweizerin zum Teil ungewohnt ist, ziemlich unterhaltsam.

Heimat für Querdenkende

Immer wieder von neuem staune ich über die unglaubliche Kreativität, die in dieser Stadt vorhanden scheint. Weit mehr unkonventionelles Denken scheint hier möglich. Vieles ist noch im Bau - die unzähligen und omnipräsenten Baustellen zeugen davon - und darum noch nicht ganz so festgelegt und strukturiert wie in der Schweiz.
Diese Stadt scheint Kreative und Andersdenkende geradezu anzuziehen: Ein Mitstudent von mir vertreibt sich die Zeit an der Uni, weil er eigentlich auf die Zusage der Filmakademie wartet, ein schwedisches Künstlerpaar, das ich in einer Zen-Meditations-Einführung getroffen habe, schreibt, zeichnet und vertont ein Märchenbuch und suchen gezielt die Inspiration dieser Stadt für ein paar Monate. Ein weiterer neuer Bekannter, Kai, studiert seit vielen Semestern, plant eine Veröffentlichung eines DDR-Rundfunkarchivs und hat mich zu seinem Theater "Die Menschenfabrik" eingeladen. Eine Schriftstellerin, die ich schon auf der Hinreise im CityNightLine getroffen habe, lebt schon seit vielen Jahren in Berlin. An Ampelpfosten und in Stadtmagazinen findet man eine erstaunliche Anzahl Anzeigen, die noch Willige für ihre alternativen Wohnprojekte suchen (gemeinsame Kindererziehung, veganische WG, Familienhäuser, queere Kommunen).
Viele Ideen, viel Geist, viel Lust auf Ungewöhnliches. Aber kein Geld.
Täglich ist das klaffende Milliarden-Defizit der Stadt Berlin in den Zeitungen. Die Arbeitslosigkeit ist - im Vergleich zum übrigen Deutschland - sehr hoch. Und doch scheinen viele zufriedener. Auch wenn sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten und davon träumen, mal einen ganz tollen Film zu machen.
Man ist versucht zu folgern: je mehr Kultur, desto weniger Geld.
Zürich würde als kulturelle Geldmetropole sofort widersprechen wollen. Und doch brodelt und blüht die Berliner Subkultur schon vielfältiger. Kultur ist subventionierbar. Not macht aber wohl doch eine Spur erfinderischer.

Grossherzige Stadt

Berlin scheint ein grosses Herz zu haben - ich fühlte mich jedenfalls schnell in jenes geschlossen. Bereits nach ein paar Tagen wurde ich scheinbar - obwohl selbst noch ziemlich orientierungslos - neben allen Verwirrten mit riesigen Stadtplänen schon fast zur Expertin. Fast täglich konnte ich inzwischen anderen weiterhelfen: Ja, diese S-Bahn fährt an den Alexanderplatz. - Am Hackeschen Markt gibt es eine Berliner Sparkasse, da können Sie Geld abheben. - Zum Görlitzer Park geht es da lang.

Aber es scheint auch, als ob man hier auch schnell wieder vergessen würde. Der Wandel ruht sich hier keine Sekunde aus: neue Häuser, ganze Plätze, neue Bahnhöfe werden aus dem Boden gestampft, Leute kommen und gehen...

Von der little big city in die Großstadt



Zürich pflegt seiner Bevölkerung vorzugaukeln, man lebe in einer Grossstadt.
Am treffendsten hat wohl der Tourismus-Slogan little big city die Stadt beschrieben. Kommt man aber erst in eine wirkliche Grossstadt, oder eben Großstadt, wie es hier heisst, merkt man erst, wie klein Zürich eigentlich ist: Nicht nur die Türme des Zürcher Wahrzeichens, des Grossmünsters, reichen kaum über die Dächer hinaus im Vergleich zum knapp 400m hohen Berliner Fernsehturm, auch die deutschen Postleitzahlen sind um eine Stelle länger, die Telefonnummern sind es ebenso, die Häuser haben mehr Stöcke, die Strassen (die Straßen) sind breiter und die Distanzen unendlich viel länger. Jedes Quartier wird zu einer little city in Big Berlin. Die meisten kommen kaum noch aus ihrem Kiez raus, weil es da alles gibt: Kinos, Einkaufsmöglichkeiten, Cafés und Stadtpärke. In einen andere Stadtteil zu fahren, kommt einer Reise gleich.

Waschmaschinen

Als ich im Februar über das Internet eine Wohnung in Berlin suchte, fiel mir auf, dass es offenbar fast zum Standard gehört, in jeder Wohnung eine Waschmaschine zu haben. In Zürich kenne ich kaum jemand mit diesem Luxus.
Da ich nun zum ersten Mal im Leben eine Waschmaschine für mich alleine habe, muss ich sagen, dass das schon sehr praktisch ist.
Die Kehrseite der ganzen Sache entdeckte ich aber bald, als ich am zweiten Abend in meinem neuen Bett lag und erschrak, als plötzlich das ganze Haus vibrierte, buchstäblich in den Grundfestungen erschüttert wurde. Erst verstand ich die Welt nicht, fürchtete ein Lastwagen mit einem riesigen Motor sei durch das Eingangstor ins Haus hineingefahren. Erst später - etwas vom Schrecken erholt - begriff ich, warum in Schweizer Häusern in der Regel Waschmaschinen im Keller stehen.
Die Frage ist bloss, ob der Kampf im Mietshaus um den Waschplan oder ein zitterndes Haus schlimmer ist. Offenbar gibt es darauf eine länderspezifische Antwort.

Samstag, April 22, 2006

Doch noch Bloggerin


Entgegen meinen Beteuerungen, dem neusten Blog-Trend doch sicher nicht auch noch zu folgen (nicht zuletzt weil ich meine Abschlussarbeit über politische Blogs schreiben wollte), ist dies der erste Eintrag in eine Gedankensammlung, die ich in meinen ersten Wochen hier in Berlin beginne.

Vieles in dieser Grossstadt ist neu, kurios, auffällig und regt mich zum Nachdenken an. Ein paar der flüchtigen Gedanken sollen irgendwie gebannt werden. Dies scheint in der heutigen Zeit elektronisch und online sicherer zu sein als ein Notizbüchlein, das im Gedränge der U-Bahn zwischen Bahnsteig und Gleis auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

Der Ausgang dieses erst angetretenen Blog-Abenteuers ist noch nicht absehbar. Meine Hoffnung besteht aber darin, regelmässige Synthesen von alltäglichen Gedanken, interkulturellen Schwierigkeiten und kuriosen Erlebnissen einer Exilzürcherin in Berlin festzuhalten, um dem eigenen Gedächtnis eine Stütze zu sein und anderen einen kleinen Einblick in mein Leben hier zu gewähren.