Sonntag, Juni 25, 2006

Döner-Merkel

Ich hoffe, dass ich mich künftig differenzierter über Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel – manchmal im Volksmund auch „Angie“ genannt – äussern werde. Aber als ich neulich dieses Plakat an einem Kebab-Stand fotografierte, dachte ich mir, dass es schon für eine gewisse Beliebtheit von Frau Merkel spricht, wenn gastronomische Betriebe wie Döner-Buden, mit deren Gesicht Werbung machen.

Ob sie den Döner nun tatsächlich gegessen hat oder ob jemand mit Photoshop-Kenntnissen am Werk war, kann ich leider nicht beurteilen. Tatsache ist jedoch, dass der „Döner“ und seine diversen Abwandlungen – Fallafel, Hähnchen Kebab, Halloumi und wie sie alle heissen – wahrscheinlich längst die populärste kulinarische Berliner Spezialität sind. Da können Bouletten und Spreewaldgurken glatt einpacken.

Dem Plakat kommt natürlich auch zu Gute, dass Deutschland wie die meisten Länder ein „Gesicht der Nation“ hat. Im Vergleich drückt sich die Schweiz ja geradezu vor Personalisierung. Oder wer würde wohl in Zürich als "Gesicht der Schweiz" am „New Point“ mit Shish-Kebab in der Hand vom Plakat lächeln?

Jenseits der Geschlechter

Am Wochenende fand der Kreuzberger Christopher Street Day (CSD) statt, ein riesiges Strassenfest mit Umzug, das sich gegen das „Schubladendenken“ im Bereich Geschlecht und Sexualität wehrt. Die deutsche Hauptstadt ist wie viele Grossstädte ein Sammelbecken für Menschen, welchen in ihren Heimatdörfern und –städten gesellschaftliche Anerkennung abgesprochen wird, weil sie nicht eindeutig Mann oder Frau sind, weil sie traditionellen Geschlechterrollen nicht entsprechen, weil sie das „andere Geschlecht“ nicht – oder nicht nur – lieben und begehren.

Berlin ist zurzeit eine Hochburg der „geschlechtlichen Veruneindeutigung“: Es blüht eine vielfältige Subkultur, wo aufgeklebtes Barthaar und glitzernde Ohrringe keine ungewöhnliche Kombination sind. Ein Sinnbild dafür ist das Verschmelzen der populären Bildikonen von Che Guevara und Marilyn Monroe. „Cherilyn“ war am Strassenfest auf T-Shirts und Transparenten gut vertreten. Die Stimmung war hervorragend und ausgelassen, von viel Musik begleitet und es wurde schon während des Umzugs getanzt. Türkische Familien wurden beim Kottbusser Tor, ein Zentrum türkischen Lebens in Berlin, per Mikrofon aufgerufen, ihre Kinder so zu akzeptieren, wie sie sind. Zum Schluss gab es eine Kundgebung bei der Oranienstraße. Die Gilde der Verkleidungskünstlerinnen und –künstler bot ein farbenfrohes Spektakel.

Alles andere als einig ist man sich über Sinn und Zweck der Verwischung von Grenzen der Geschlechter und Sexualitäten. Während die einen darin eine Unterwanderung von Herrschaftsverhältnissen sehen, in welchen Männer und der Zwang zu Heterosexualität und Monogamie dominieren, meinen andere, dass gerade durch die Verwischung der politischen Aktion die Grundlage entzogen werde. Wenn nämlich nicht mehr klar sei, was eine Frau sei, dann könne gar nicht mehr für die Rechte von Frauen gekämpft werden.

Persönlich habe ich den Eindruck, dass aneinander vorbei geredet wird, dass zum Teil viel Energie geradezu verschwendet wird, vermeintlich feindliche Lager zu bekämpfen. Die künstlerische Verwischung von Geschlechtergrenzen ist jedenfalls oft ein Leckerbissen fürs Auge. Tatsächlich lässt sich damit aber nicht vermeiden, dass wir aus praktischen Gründen der Kommunikation darauf angewiesen sind, mit Sprache Dinge und Menschen zu benennen. Sprachliche Begriffe bringen es mit sich, dass sie von anderen Begriffen abgegrenzt werden wollen. Und auch auf politischer Ebene sind eindeutige Bezeichnungen notwendig. Das macht aber wiederum keinen Versuch überflüssig, aufzuzeigen, dass was „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ sei, in den allermeisten Fällen kulturell zugewiesene und nicht gottgegebene Merkmale sind – und sei es mit Perücken, Krawatten, aufgeklebten Schnurrbärten und Glitzer.

Freitag, Juni 23, 2006

Die Berliner Mauer

Immer wieder mal versuche ich zu fassen, dass vor gut 16 Jahren meine Strasse von der Mauer geradezu umzingelt war. Die Köpenicker Straße war ganz im Osten des damaligen Westberlins, verlief parallel zur Mauer und war zudem in der Mitte getrennt - die andere Hälfte war im sowjetischen Sektor.

An vielen Stellen in der Stadt ist kaum mehr zu erahnen, dass dort 1989 noch eine Mauer stand und Ost- und Westberlin voneinander trennte. An anderen Stellen stehen noch ganze Mauerstücke, die der Erinnerung dienen sollen. Das längste Stück Mauer, das noch steht, ist einen guten Kilometer lang und nennt sich „East Side Gallery“. Es wurde von internationalen Künstlerinnen und Künstlern nach der Wende bemalt und wurde so zur „Galerie“. Heute ist es grösstenteils versprayt oder rekonstruiert worden. Als ich letzten Sommer zum ersten Mal dem langen Mauerstück entlang ging, überkam mich ein beklemmendes Gefühl, obwohl ich mir die Mauer immer höher vorgestellt hatte, als sie tatsächlich ist.

Seltsamerweise spricht man meist davon, dass die Leute in Ostberlin und der DDR eingesperrt waren. Tatsächlich war aber das "freie" Westberlin von der Mauer umgebenes Gebiet inmitten der DDR.

Persönlich erzählte Lebensgeschichten, die von der Mauer geprägt sind, stimmen mich nachdenklich: Verwandte, die während des Mauerbaus geflüchtet sind oder durch die Mauer getrennte Familien. Oder das positive Bild vom Westen einer Ostberlinerin, die nach dem Mauerfall begriff, dass der Westen gar nicht so ist, wie sie ihn sich vorgestellt hatte, und in eine Depression fiel.

Der Berliner Mauertourismus ist nicht zu unterschätzen, macht dieses Stück Geschichte eine Besonderheit der Stadt aus. Einige setzten sich ernsthafter damit auseinander, andere begnügen sich, beim berühmtesten damaligen Übergang am „Checkpoint Charlie“ die Kontrollbaracke wie irgendeine andere Sehenswürdigkeit zu fotografieren. Sie wissen wohl nicht, dass die zu Mauerzeiten gar nicht dagestanden hat. Wiederum andere beweisen, dass sich selbstverständlich auch Geschichte kommerzialisieren lässt: Drei „historische“ Museen, unzählige Imbissbuden, Internetcafés und Anbieter für Mauerspaziergänge konkurrieren beim „Checkpoint Charlie“ um touristische Kundschaft. Souvenirshops verkaufen massenweise „officially certified original Mauerstücke“ und andere Unglaublichkeiten zu horrenden Preisen. Da schlagen sich manche Touristinnen und Touristen einfach selbst ein Stück aus der übrig gebliebenen Mauer.

Ich kann es nach wie vor nicht fassen, was ein Leben mit Mauer wirklich bedeutet haben muss, und es erschreckt mich, dass andernorts wieder Mauern gebaut werden. Momentweise wird mir gerade im Zusammenhang mit der Mauer wieder klarer, warum es sich lohnt, sich für eine "freie" Demokratie einzusetzen.
Die Geschichte Zürichs im 20. Jahrhundert ist verglichen mit Berlin geradezu richtig langweilig. Aber Langeweile hat eben auch ihre angenehmen Seiten.

Das übrig gebliebene Stück Mauer beim Gropius-Bau.

Die 1920er mit Claire Waldoff

Seit vielen Jahren bin ich ein Fan der Chanson-Kabarett-Sängerin Claire Waldoff, die besonders in den Zwanziger Jahren letzten Jahrhunderts in Berlin ihr Unwesen trieb. Sie verkörperte den neuen Frauentyp von damals mit Bubikopf und neuem Selbstbewusstsein.
Ihre Stimme ist zwar alles andere als lieblich, die Texte sind aber köstlich unterhaltsam und frech. Sie besingt Berlin („Ne dufte Stadt ist mein Berlin“, „Es gibt nur ein Berlin“), macht sich über liebestolle Verehrer lustig („Warum liebt der Wladimir jerade mir“,„Wegen Emil seine unanständ’ge Lust“) und über unfreundliche Umgangsformen („Wer schmeißt denn da mit Lehm“). Ihre Spezialität waren Schlager, Chansons und Kneipenlieder im Berliner Jargon. Sie stand auch mit der damals noch unbekannten Marlene Dietrich auf der Bühne. Nach 1933 erhielt sie für eine Weile politisches Auftrittsverbot, weil sie kurz davor noch bei der kommunistischen Roten Hilfe aufgetreten war. Propagandaminister Goebbels verbot ihr 1936, in der Scala aufzutreten. Dennoch wurde sie von der Wehrmacht zur Truppenbetreuung engagiert. Und sie sang 1942 vor deutschen Soldaten im besetzten Paris. Nach dem Krieg verlor sie ihre Ersparnisse mit der Währungsreform, sie erhielt aber vom Berliner Magistrat zum 70. Geburtstag eine Ehrenrente zugesprochen. Heute erinnert noch eine Strasse beim Oranienburger Tor an die Sängerin und die Berlin-Nostalgie-Ecke im Kulturkaufhaus.


Gerne schwelge auch ich hin und wieder im Mythos der Berliner goldenen Zwanziger und hör mir dazu ein paar Waldoff-Stücke an. Und wenn ich am „Halleschen Tor“ jeweils in eine andere U-Bahn umsteige, male ich mir aus, wie es wohl zur Zeit der „Hannelore vom Halleschen Tore“ in Waldoffs Lied da ausgesehen haben mag.

Mittwoch, Juni 21, 2006

Freud und Leid der WM

Die WM hat nun nach der langwierigen Vorbereitung doch noch begonnen. Und ist selbstverständlich in der Hauptstadt des Gastgeberlandes Thema Nummer 1. Ob man möchte oder nicht. Wer sich dagegen wehrt, macht es genauso wieder zum Thema.

Die Spiele machen Spass und gesperrte Strassen, auf denen Beamer und Leinwände stehen und viele nette Leute Eis essen, Wasserpfeife rauchen und gemeinsam Fussball gucken, sind echt ein Glücksgefühl. Anstrengender sind ganz penetrant nationalistische, halb betrunkene Fans und die Tatsache, dass sich jede Werbung, jedes Schaufenster und unzählige Produkte mit der WM in Verbindung bringen wollen. An der Uni beschäftige ich mich am kulturwissenschaftlichen Institut auch noch mit Fussball. Da ist es immer wieder mal spannend, das Phänomen gesellschaftlicher Faszination an diesem Spiel mit anderen Augen zu betrachten.

Mit Interesse beobachte ich auch die Opposition zur „FIFA-Männer-WM“. Die WM lässt sich nicht nur für Werbezwecke, sondern auch für linke Politik instrumentalisieren. Es wird massiv Kritik geübt an Coca-Cola als WM-Sponsor, an der Kommerzialisierung, es wird gegen Rassismus, Neolibe-
ralismus, Frauenfeindlichkeit, Nationalismus, Homophobie und Sicherheitswahn gewettert. Die NaturfreundeJugend Berlin wünschte der deutschen Nationalmannschaft gar offiziell das „Vorrundenaus“. Einige Kritikpunkte haben aus meiner Sicht durchaus ihre Berechtigung, gehen allerdings im ganzen Rummel und der Begeisterung völlig unter. Denn wer möchte schon in der allgemeinen freudigen Euphorie und dem überschäumenden Gemeinschaftsgefühl ständig daran erinnert werden, dass Coca-Cola für Morde an kolumbianischen Gewerkschaftern verantwortlich gemacht wird, dass es unfair ist, dass die Frauen-WM nicht beachtet wird und dass sich grosse Textilfirmen Rekordgewinne erwirtschaften, während ihre Sportprodukte in China, Indonesien und anderen Ländern zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen hergestellt werden, dass neu erweckte Nationalgefühle auch rassistische Schattenseiten haben?
Man muss all dies ausblenden, um die Spiele wirklich geniessen zu können. Das gelingt mir ganz gut. Und doch bin ich froh, dass sich einige die Freude an der WM verderben lassen, um unermüdlich auf Ungerechtigkeiten und Missstände hinzuweisen.

Eis in Leipzig und Schnee in Berlin


Die Hagelkörner, die in Leipzig über uns niederprasselten, waren gross wie Fäuste, als wir über das Wochenende mit der Erasmus-Organisation die schöne Stadt besuchten. Innert Minuten verwandelte sich der laue Sommerabend in ein Spektakel. Hatten wir noch kurz zuvor gemütlich in einem berühmten Leipziger Innenhof vor dem obligaten WM-Bildschirm gesessen, war es plötzlich als würden wir mit regelrechten Geschossen beworfen. Einige schafften es noch ins Haus, ich blieb mit ein paar anderen unter einem robusten Sonnenschirm den Eisbällen ausgesetzt. Ob jetzt Holland gewinnen würde, war plötzlich ziemlich egal. Minuten später strömten halbe Bäche durch den Hof. Der Engländer neben mir unter dem Schirm konnte es gar nicht fassen. Noch nie hatte er so etwas gesehen. Als der Eiskornregen etwas nachliess, flüchtete ich ebenfalls ins Haus, wo das Restaurantpersonal soeben die Besitzer des geschlossenen Kleidergeschäfts nebenan anriefen, um ihnen zu melden, dass Wasser in ihren Laden eingedrungen war.
Viele Autos in den Strassen waren verbeult. Ich habe gar eine vom Hagel durchlöcherte Windschutzscheibe fotografiert.


In Berlin hingegen liegt trotz hochsommerlichen Temperaturen an gewissen Stellen eine Art Schneedecke. Es ist Blütezeit der Pappeln und der weisse Flaum bringt mich ganz schön zum Niesen.

Mittwoch, Juni 14, 2006

Badeschiff statt Zürisee

Was mir in Berlin am meisten fehlt, ist bei diesen Temperaturen die schnelle Abkühlung im natürlichen Nass. Zwar ist das Wasser in Berlin mit dem Fluss Spree und dem Landwehrkanal keine Rarität, aber für einen Sprung hinein ist es nicht genügend sauber. In meiner Nähe gibt es das „Badeschiff“: ein Pool in der Spree an einem Stadtsträndchen. Ganz nett. Aber eben doch nichts gegen einen Schwumm im Zürisee oder der Limmat. Die Seen rund um Berlin sind noch zu entdecken. Da soll es sich auch ganz schön baden lassen. Bloss nicht so rasch mit dem Velo zu erreichen, sondern mit der S-Bahn.

Berlin hat hingegen eine unendliche Fülle und Dichte an netten Kneipen zu bieten, sodass man beinahe ständig vor die Qual der Wahl gestellt ist. In Zürich erschöpft sich die Auswahl ungleich schneller.

See oder Kneipen – das ist hier die Frage.

Zürcher Klischees beim Blitzbesuch

Am meisten beeindruckt haben mich bei meinem Kurzbesuch in Zürich die bewaldeten Hügel und die Schneeberge am Horizont über dem Zürichsee. Neben den menschlichen Distanzen innerhalb der Stadt natürlich auch die Sauberkeit und wie teuer alles ist.
Kaum zurück in Berlin merkte ich hingegen, dass ich nach der kurzen Zeit schon wieder die Schweizer Manier des sich übertriebenen Entschuldigens angenommen hatte. Im Bus stiess ich mit meinem grossem Rucksack leicht an eine Frau und entschuldigte mich. Worauf sie mich fast entgeistert anschaute und in energischem Tonfall entgegnete: „Entschuldigung?! Das macht doch überhaupt nichts!“ – Ich wollte mich schon fast wieder entschuldigen...