Dienstag, November 28, 2006

Creative Commons-Happy End



Über die ungefragte Verwendung meiner Berliner Sprachwirren durch die neue Zürcher Abendzeitung heute hatte ich bereits berichtet. Besonders gestört hatte mich die Tatsache, dass eine Zeitung, die aus einem Mix aus Billig-Content und Werbung Profite macht, sich einfach so über eine nicht-kommerzielle Creative Commons-Lizenz hinwegsetzt.
Creative Commons ist eine von US-Rechtsprofessor Lawrence Lessig (der mit seinem Vornamen für Rechtsfälle ja prädestiniert ist) vorgeschlagene Erweiterung des Urheberrechts. Creative Commons gibt besonders im Internet und in der Musikindustrie zurzeit viel zu reden und zu tippen - zum Beispiel im Creative Commons Salon in Berlin und in der Zürcher Digitalen Allmend. Ein schönes Video erklärt, warum CC-Lizenzen Sinn machen (allerdings in englischer Sprache) und avantgardistisch ist auch eine auf CC spezialisierte Suchmaschine für Fotos, Musik und weitere kreative Produkte.

Vor ein paar Tagen fand nun meine persönliche Geschichte mit einer nicht-kommerziellen Creative Commons-Lizenz für Züri-Berlin endlich ein Happy End. Und zwar mit folgender Nachricht des verantwortlichen heute-Redaktors Thomas Benkö, mit dem ich seit Anfang September einen E-Mail-Streit führte. Er sollte quasi als Strafgeld für die Missachtung der Lizenz ein nachträgliches Zeilenhonorar direkt an Creative Commons.org spenden:
sodeli, 50 franken an die cc:

Zahlungsdetails
Transaktionscode: 9HX274675U6812039
Artikelpreis: 32,00 EUR
Betrag: €32,00 EUR
Artikelbezeichnung: Creative Commons Donation
Käufer: THOMAS BENKOE

ich hoffe, nun sind alle zufrieden

Ja, danke, wir sind nun endlich zufrieden. Besten Dank auch für die sehr freundliche Unterstützung von Christian Laux von Open Law, und Roland Alton Scheidl von der OSalliance, der mit seinem Team auch das tolle Projekt Registered Commons ins Leben gerufen hat. Sehr hilfreich war übrigens auch die Berichterstattung von Netzpolitik - ohnehin die Referenz für internetpolitische Fragen - über einen ähnlichen Fall mit Flickr-Fotos in Holland.
Auf einen interessanten Aspekt der nicht-kommerziellen Lizenz wies mich übrigens Roland Alton Scheidl hin:

Ich rate ja eher dazu, NC (=non commercial CC licence) nur zu verwenden, wenn eine entsprechende Verwertung auch absehbar ist. Denn die Grenzen zwischen kommerziell und nicht-kommerziell sind unscharf (eher noch wäre for/non-profit angebracht) und wenn man NC lizensiert, beraubt man sich selbst der Möglichkeit, dass das Werk (und der Name) weitergereicht wird.

Einleuchtend. Allerdings steht ja in der Lizenz auch: Jede dieser Bedingungen kann nach schriftlicher Einwilligung des Rechtsinhabers aufgehoben werden.

Nachtrag:
Netzpolitik war - wie immer - ganz schnell mit einem Eintrag hierzu und auch Roland Alton Scheidl möchte die Geschichte in Englisch in der Creative Commons Community veröffentlichen.
"heute" besitzt übrigens - wie inzwischen jede ernst zu nehmende Boulevard-Zeitung wie BILD das BILDblog und 20 Minuten das Pendlerblog - ein persönlich gewidmetes Watchblog. Frank Schrillmacher ist ein alias des jungen unermüdlichen Internet-Literaten und der multiplen Blog-Persönlichkeit David Berger aus Olten, der neben unzähligen anderen Verwertungen auch ein "heute"-Satiremagazin betreibt.

Montag, November 27, 2006

Alles fliesst in Züri-Berlin

Obwohl ich zum Ärger einiger Mitmenschen immer in den höchsten Tönen dagegen predige, erliege selbstverständlich auch ich den Reizen des Schwarz-Weiss-Denkens:

In meinem Kopf hatte ich Berlin als die Stadt der steten Veränderung festgeschrieben, wo man sich bloss umzudrehen braucht und schon ist eine andere Strasse die neue hippe Ausgangsmeile oder plötzlich ein neuer Hauptbahnhof aus dem Boden gestampft. So war ich Ende September der festen Überzeugung, ich würde aus einer dynamischen und sich in ständigem Umbruch und totaler Veränderung befindender Großstadt in eine im Stillstand verharrenden kleine Möchtegern-Grossstadt zurückkehren. Ich lag eindeutig falsch, wie zum Beispiel die abgebildete Zürcher Neuigkeit im HB zeigt, die in steter farblicher Veränderung ist. Meine Auflistung von Veränderungen in Zürich vor und nach meinen verrückten Berliner Monaten ist inzwischen länger als jene der mitgezählten Berliner Veränderungen.

Berlin:
  1. neuer HB
  2. neuer Club an der Schlesischen Straße: Lido
  3. neuer Bioladen an der Schlesischen Straße: Zimstern (Konkurrenz für grünäugig)
  4. neues Café an der Schlesischen Straße: Ohio
  5. S- und U-Bahnhof Papestraße wird im Mai zu Südkreuz
  6. blühende WM-Industrie
  7. die Straße des 17. Juni heisst jetzt quasi Fanmeile
  8. gefährdeter Pizza-Verzehr nach Italien-Sieg über Deutschland bei der WM
  9. Quasi-Auflösung meines Berliner Fussball-Teams nach der WM
  10. höchstes Wahrzeichen hatte einen Sommer lang magenta-farbene Kinderkrankheiten

Zürich:
  1. neuer Ida-Platz
  2. neuer Tessiner-Platz nach scheinbar tausend Jahren Baustellen-Platz
  3. Konkurrenz für Berta Bar durch Bottega Berta und Bei Babette (neue BB-Meile an der Bertastrasse - fehlen nur noch das Bert Brecht Bistro und die Brigitte Bardot Bar)
  4. neue Theater-Bar hinter der Tankstelle um die Ecke namens Maier's (Namenskonkurrenz für das Meyer's eine Tramstation weiter)
  5. das Paparazzi am Nägeliplatz wurde zur rauchfreien Café Bar Annabelle
  6. der provisorische Ersatz für die Brasserie Pfauen beim Schauspielhaus
  7. journalistische Höhenflüge an jeder Tramhaltestelle dank der neuen Abendzeitung "heute"
  8. aufgemöbeltes Lochergut mit toller neuer Lichtskulptur (auf Vorschlag des Berliner Künstlers Olaf Nicolai)
  9. Konkurrenz im Zürcher HB für den korupulenten Schutzengel von Niki de Saint Phalle (Foto: Stadtwanderer)
  10. härteres Regime im Fussball-Training
  11. Uni Zürich: Computerräume an einem anderen Ort, der Turm des Hauptgebäudes ist fertig umgebaut inklusive exquisiter Verpflegungsstätte für Dozierende und für spirituelle Momente im Uni-Leben.
  12. Züritipp hat den legendären "Züri by Mike" für ein Jahr verloren. Ein grosser Verlust für die Stadt. Einen "Züri by Mike"-Kalender kann noch immer gewinnen, wer im Cityblog über den Paradeplatz schreibt.
  13. Der Traditionsladen Spengler ist nur noch der Schatten seiner ehemaligen Leuchtbuchstaben am Haus, in das sich die unzähligste Interdiscount-Filiale mit dem denkbar hässlichsten Corporate Design eingenistet hat.
  14. Gegenüber hat sich Navyboot grossflächig eingerichtet, eine Marke, die man in einigen Jahrzehnten als solide Schweizer Brand mit Tradition bezeichnen wird.
Und natürlich gebe ich freimütig zu, dass meine radikalsubjektive Zählung in keiner Weise wirklich beweist, dass Berlin unter den Städten nicht doch die Königin der Veränderung ist.

Montag, November 20, 2006

Schöner Leben in Zürich

Brandneu: das Wohnungs- Verschönerungs- Kleinplakat, das als Innenwerbung dem Kampf gegen Plakat-Aussenwerbung dient. Aus diesem Anlass widmet sich heute Züri-Berlin dem leider zunehmend aussen beworbenen Stadtbild, das ihm als klassisches Stadtblog natürlich am Herzen liegt.

Der aufmerksamen Züri-Berlin-Leserschaft dürfte es nicht entgangen sein: statt einer klassischen Blogroll, die sich seriöser Bloggende halten, wurde hier zwar sparsam verlinkt, aber nicht zuletzt auch zur erhabenen IG Plakat | Raum | Gesellschaft, die sich mit viel Herzblut dem Ästhetikempfinden und der Reizüberflutung urbaner Menschen in Zürich annimmt.






Gegen Werbung kann man grundsätzlich kaum etwas haben, schliesslich finanzieren Inserate, gut getarnte Publireportagen, Schleichwerbung und andere Werbeminuten auch seriöses Geschreibsel und Gerede in der Kommunikationsbranche. Die Frage lautet, an welcher Stelle wir uns mit kauffreudigen Botschaften, schön formulierten Lügen, professionellen Bildmanipulationen und durchaus auch ernst gemeinten Produktangeboten zur Weltverbesserung umzingeln lassen wollen. Die IG P | R | G (es sei hier übrigens offen gestanden, dass Züri-Berlin mit der IG verbandelt ist, bevor es noch zu Schleichwerbungsvorwürfen kommen sollte) findet, dass der öffentliche Raum nicht an Plakatgesellschaften ausverkauft werden sollte, insbesondere nicht von der öffentlichen Hand selbst. Speziell fehl am Platz ist auch das Argument, dass wir Geld sparen würden, wenn wir uns den lieben langen Tag Kampagnen unter dem nur beschränkt erotischen Motto "Totally sexy" anschauen, fragwürdige Fusionen einer hip gewordenen Billigproduktelinie aus der Lebensmittelbranche mit dem Kreditkartenbusiness im Grossformat verfolgen oder im Zürich HB mehr Werbung als Bahnhof sehen. Eine Verlagerung von störenden Plakatflächen könnte zudem dem Anzeigengeschäft seriöser Printmedien wieder Aufwind verleihen, um damit dem grassierenden Pendlerzeitungsvirus die Stirn zu bieten oder auch tolle Blogs mit lukrativen Bannern auszustatten.

Züri-Berlin bleibt übrigens bei Bestechungssummen unter einem fünfstelligen Betrag in Schweizer Franken (auch € würde entgegengenommen) weiterhin werbefrei. Als Werbepartner würden ohnehin am ehesten Billigfluglinien in Frage kommen, die sich ebenfalls mit Verbindungen zwischen Züri und Berlin beschäftigen. Nicht mit ganz so viel irrelevantem Wortreichtum, aber mit etwas mehr Kerosin, was leider den Idealen abträglich ist. Das Leben dreht sich doch insgesamt um die schmerzliche Entscheidung zwischen Geld und Idealen.

Immerhin gibt es noch Möglichkeiten, hier überflüssiges Kleingeld für ein schöneres Zürich loszuwerden oder sich wenigstens ruhmreich namentlich mit Stadtverschönerung in Verbindung zu bringen, wo auch immer man wohnt, welchen Alters man ist und welche Passfarbe man gerade trägt. Wer visuelle Umweltverschmutzung für ein völlig übertriebenes Luxusproblem hält, kann gutmenschlichen Willen auch mit einer neuartigen Methode einer Mikrokreditvergabe ins indigene ländlich-feminine Guatemala beweisen, auch wenn dies in deutscher Sprache noch nicht möglich ist. Bei der Riesenmaschine erklärt man sich das Problem damit, dass leider keine deutschsprachigen Kolonien mehr vorhanden sind. Ansonsten hätte man immerhin eigene Entwicklungsländer, die man von Websites aus mit Spenden überschütten könnte, die in der eigenen imperialistischen Sprache verfasst wären.

Treue Adbusters schlafen natürlich auch in Berlin nicht, deuten fleissig politische Werbebotschaften um und riskieren Kopf und Kragen, um aus aufdringlicher Bankenwerbung einen Bankenskandal zu machen, und um auf ein wahrlich unrühmliches Kapitel der neueren Berliner Stadtgeschichte hinzuweisen. (Bild: Wikipedia)


Mehr vom letztjährigen Wirbel um weisse Werbeplakate in Zürich findet sich an dieser Stelle. Weitere Texte mit netten W-Alliterationen gegen Werbe-Wucherung im öffentlichen Raum gab es im Tages-Anzeiger, im iQ und re:flex.

Mittwoch, November 15, 2006

Poetische Berliner WC-Lektüre

Menschen, die sich auf dem stillen Örtchen Lektüre halten, habe ich früher grundsätzlich beargwöhnt. Seit zwei, drei Jahren habe allerdings auch ich manchmal Geschriebenes zur Inspiration während der Bedürfnisverrichtung bereitgelegt. Zurzeit liegt in meiem Zürcher Badezimmer neben den Papierrollen, Rasierklingen und Bodylotions ein kleines Buch mit Berlin-Poesie.

100 Mal wird darin Berlin besungen und verflucht. Günter Grass dichtet über das Gleisdreieck, Joachim Ringelnatz über das "Leben in Pelzen und Leder" am Kurfürstendamm und am Zoo. Besonders amüsiert hat mich Sarah Kirschs zwiespältige Beziehung zum Fernsehturm. Von Zeit zu Zeit sieht sie ihn gern, den "Turm mit der silbernen Kugel", doch an jenem Abend, als die "zivilen Herren und Steckbriefträger" vor ihrer Tür standen, hätte sie "dieses Potenzminarett gern in den Himmel gesprengt".

Im Nachwort wird Wilhelm Hauenstein zitiert, der 1932 notierte, was noch heute gültig scheint: "In Berlin, über Berlin, unter Berlin wirkt eine verhängnisvolle Kraft, die alles immer wieder zu annulieren vermag."

Montag, November 13, 2006

Ausgestelltes Berlin & Züri

Nachgelieferter Beitrag # 3:

Was wäre ich bloss ohne Ausstellungen? Wohl etwas unterbeschäftigter und weniger ängstlich, immer gerade wieder eine gute davon zu verpassen. Es folgen ein paar Notizen zu bereits vergangenen und noch aktuellen Ausstellungen in Berlin und Zürich. In erster Linie zur persönlichen Erinnerung und zur (sinnlosen nachträglichen) Weiterempfehlung.

Im Berliner Frühling hatte ich mir noch wochenlang die Haare gerauft, dass ich "Melancholie, Genie und Wahnsinn in der Kunst" in der Neuen Nationalgalerie versäumt hatte.

Die 4. Kunstbiennale an der Auguststrasse in Berlin-Mitte hat mir gefallen. Ich hätte allerdings nur einen Bruchteil verstanden ohne die Erläuterungen einer befreundeten Kunststudentin aus Holland.

Über das eher kommerziell als historisch ausgerichtete DDR-Museum habe ich hier schon berichtet. Genauso interessant ist allerdings das virtuelle Museum zur Alltagskultur in der DDR. Dort wird im Übrigen noch ein Exemplar des Rasierapparats Autosuper Komet, der Zahnpasta Rosodont und des Brotrösters LAVA Sirat ST 2/1 gesucht, falls jemand zufällig im stolzen Besitze dieser Kultgegenstände sein sollte.

Eines der bekanntesten Exponate in Berlin befindet sich zurzeit im Alten Museum: Die wunderschöne altägyptische Nofretete. Über dem Eingang des Museums steht in roter Leuchtschrift: ALL ART HAS BEEN CONTEMPORARY. Ein wunderbares Argument, sich nicht immer nur für den letzen künstlerischen Schrei zu interessieren.

Die Ausstellung Topographie des Terrors habe ich mir mehrmals mit Schaudern angesehen. Man geht durch eine schlicht gehaltene Freiluftausstellung (eine pompösere Version derselben Ausstellung hatte der Schweizer Architekt Peter Zumthor Anfang 90er bereits halbwegs gebaut, welche nach einem Finanzdebakel allerdings wieder abgerissen wurde) und macht sich bewusst, dass die ausgestellten Grausamkeiten genau an diesem Ort ausgedacht worden sind: In jenen Gebäuden, die nun nicht mehr da stehen, weil sie im 2. Weltkrieg zerbomt und die Überreste gesprengt worden sind. Ein Niemandsland mitten in der Stadt. Wer möchte an einem solchen Ort schon Häuser oder etwas Fröhliches hinstellen angesichts der erdrückenden historischen Verbrechen, die mit diesem Gelände verbunden werden? Daneben steht auch noch ein längeres Stück Berliner Mauer. Diese ist inzwischen eingezäunt, als gäbe es Absurderes als eine Mauer einzuzäunen. Wenn Mauern so populär werden, dass sich mit Mauerstückchen Lebensunterhalte verdienen lassen, braucht gar die Mauer Schutz vor brachialer Souvenirbeschaffung.

Die Fotogalerie Lumas (die in Berlin am Hackeschen Markt und am Ku'damm Zweigstellen betreibt) überraschte mich mit ihrem Konzept, das in Kunstkreisen auf Kritik gestossen war: Durch grosse Auflagen schafft es Lumas, Fotokunst zu Schnäppchenpreisen anzubieten. Das unterwandert natürlich traditionelle Galerien, die für exklusive Einzelexemplare höhere Preise verlangen. Die meisten Bilder der Lumas-Kollektion sind sehr ästhetisch, sodass man sich diese gerne ins Wohnzimmer hängen möchte. Natürlich schreckt die Galerie vor politischen oder anderen heiklen Themen zurück und bietet schlicht Schönes für ein breites Publikum zu günstigen Preisen. Auch über das Internet zu bestellen und in der Schweiz lieferbar.

Eine der besten Ausstellungen, die ich in Berlin gesehen habe war Tokyo-Berlin in der Neuen Nationalgalerie. Ein kaum erreichbares Vorbild für eine irgendwann mögliche Züri-Berlin-Ausstellung.

Der stundenlange Besuch im Deutschen Historisches Museum "Unter den Linden" hat sich ebenfalls gelohnt. Die ziemlich neue permanente Ausstellung über die deutsche Geschichte ist ausführlich und sehr illustrativ. Bequeme Schuhe sind allerdings ein Muss, will man sich ohne unerträgliche Fussschmerzen auch nur einen groben Überblick verschaffen. Im Neubau des Deutschen Historischen Museum (übrigens von Pei, der auch den Pariser Louvre ausgebaut hat) wurden aus aktuellem Anlass eine hervorragende Ausstellung über WM-Fotografie unter dem Titel "Das Spiel" gezeigt.

C/O zeigte im September im alten Postfuhramt, einem der schönsten Gebäude in Berlin, eine Retrospektive über den Zürcher Fotografen Werner Bischof. Dieser wurde 1916 in Zürich geboren, hat weltweit feinfühlige und künstlerische Fotoreportagen gemacht, war bei der Fotoagentur "magnum" aktiv und starb bereits 1954 bei einem Autounfall in Peru. Besonders beeindruckend waren für mich die Bilder der Trümmerlandschaft in Berlin und in anderen deutschen Städten nach dem 2. Weltkrieg sowie wunderschöne Bilder aus den USA und Lateinamerika der 1950er.

Dieses Bild zeigt das Überbleibsel einer ironisch-witzigen Performance über Performance-Kunst von Wagner-Feigl an der Messe 2 über Antragskultur. Da ohne Blitz aufgenommen, ist das wirre Tomaten- und Nägelgemenge inmitten des pulverweissen Labyrinths leider nur schlecht erkennbar.
Die Messe selbst bestand aus diversen Installationen zum Thema ausufernde Antragskultur, die mir in Deutschland allerdings um einiges ausgeprägter erschien als in der Schweiz. Neben den natürlich scherzhaft gemeinten Anträgen zur Sprengung unliebsamer Gebäude in Berlin, die man vor Ort ausfüllen konnte und gleich selbst (wie es sich für eine gute Bürokratie gehört) in einen der vielen Ordner ablegen konnte, hat mir besonders die Absageagentur grossen Eindruck gemacht. Eine erheiternde Kostprobe für frustrierte Arbeitssuchende, die zu jenen gehören, die sich tatsächlich noch eine Festanstellung wünschen:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen für die Ausschreibung oben genannter Stelle. Nach sorgfältiger Prüfung Ihres Angebotes muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ich die angebotene Stelle nicht antreten werde. Ich versichere Ihnen, dass meine Entscheidung keine Abwertung Ihrer Person oder Ihres Unternehmens bedeutet, sondern ausschließlich auf meine Auswahlkriterien zurück zu führen ist.
Ich bedauere, Ihnen keine günstigere Nachricht geben zu können und wünsche Ihnen und Ihrer Firma für die Zukunft alles Gute.

Mit freundlichen Grüßen


Die meisten der genannten Ausstellungen in Berlin sind Vergangenheit.
In den Alpen im Kunsthaus Zürich läuft immerhin noch bis im Januar 2007 und ist für alle sehr empfehlenswert, die etwas für die Magie grosser Steinhaufen übrig haben. Fast alle möglichen Kunstformen - ausser natürlich der suchtgefährdenden Bloggerei - sind in der Ausstellung vereint. Von alten romantisierenden Berggemälden hin zu einer Videoinstallation über die Luxus-Ski-Halle in Dubai mitten in der Wüste, von traditioneller Scherenschnittkunst, hin zu moderner Skihütten-Fotografie und Bildhauerei. Eine Sammlung alter Tourismus-Plakate stimmt nostalgisch, und in einer Ecke kann man sich dank Stereoskop Bilder der Schweiz in antiker 3D-Technik ansehen. Etwas neuere 3D-Technik und gleichzeitg Programmierkünste zeigt eine virtuell begehbare Bergwiese.

Bald wird Züri-Berlin über eine weitere aktuelle Ausstellung in Zürich berichten, die sich mit der Brotlosigkeit von Kunst beschäftigt.

Mittwoch, November 08, 2006

Züri-Berlin-Pionier Arnold Kübler

Was bei Züri-Berlin über die sprachlichen Wirren einer Zürcherin in Berlin zu lesen war, hat Arnold Kübler vor mehr als 70 Jahren bereits in kunstvoller Weise vorweggenommen.

Sein in Vergessenheit geratener Roman Der verhinderte Schauspieler schildert nämlich den von einer perfekten deutschen Sprache besessenen Raben Drahtzaun. Um in Deutschland als Schauspieler sein Glück zu suchen, verlässt Drahtzaun nach dem 1. Weltkrieg die Heimat im bäuerlichen Zürcher Oberland. Sein erstes Engagement in einem ostdeutschen Theater ist ein grandioser Reinfall: sein schweizerisches Deutsch wird nicht goutiert und wird zu einem Makel. Sein grösstes Ziel ist von nun an die Vollkommenheit der Sprache, ein "reines Deutsch". Er lässt nichts aus, um sich der "helvetischen Räuspersprache" zu entledigen. Um materiellen Besitz schert er sich nicht: keine Dinge besitzen, will er, aber eine reine Sprache sprechen. Nach ersten Misserfolgen fährt er schliesslich nach Berlin, um den grossen Bühnen wenigstens etwas näher zu sein. Als er vom kulturell brodelnden Berlin der Weimarer Republik zur Beerdigung des Vaters in die Heimat fährt, schmerzt ihn das raue Helvetisch in den Ohren. Mit seiner hochgestochenen Sprache wird er von den ländlichen Menschen allerdings ausgelacht. Er beginnt die Heimat, die sein Teuerstes verachtet, zu hassen. Seine Obsession nach einer perfekten Sprache hat zunehmend groteske Folgen und endet tragisch.

Im Schauspielhaus Zürich fand letzte Woche eine Veranstaltung zu Ehren des Zürcher Publizisten Kübler statt. Trotz des unbekannten Namens war ich glücklicherweise mit einer ermässigten Eintrittskarte und den prominenten Gästen geködert worden, um dem perfekt auf Züri-Berlin zugeschnittenen Anlass beizuwohnen.
Der renommierte ehemalige Literaturprofessor Peter von Matt hat das vergessene Buch ausgegraben und neu herausgegeben. Aus diesem Anlass las letzten Dienstag ein Schauspielerduo Textauszüge, die anschliessend von der hier bereits erwähnten NZZ-Redaktorin in Berlin, Claudia Schwartz, Peter von Matt und Dieter Bachmann vom DU diskutiert wurden.

Arnold Kübler (1890-1983) war neben Schriftsteller auch Zeichner, Schauspieler, Dramatiker und Kabarettist. Zudem hat er die Kulturzeitschrift DU mitbegründet. Sein Erstlingsroman Der verhinderte Schauspieler ist autobiographisch geprägt. Wie Drahtzaun stammt auch Kübler aus dem Zürcher Oberland und hat in jungen Jahren u.a. in Berlin gelebt.

Nicht ganz so obsessiv wie Drahtzaun, aber doch auch bemüht, nicht ständig über sprachliche Helvetismen zu stolpern, fühlte ich mich belustigt betroffen von Küblers literarisch verpackten ähnlichen Erfahrungen. Das Verhältnis zwischen Schweizerdeutsch und Bühnendeutsch, der Schweizer Hochdeutschkomplex (sowie der allgemeine Minderwertigkeitskomplex des kleinen Landes gegenüber dem grossen nördlichen Nachbarn) sind wohl zeitlose Phänomene, die schon Züri-Berlin-Pioniere wie Arnold Kübler und seinen kauzigen Drahtzaun vor vielen Jahrzehnten beschäftigt haben.

Der spätere Kübler liebte übrigens die Schweizer Dialektsprache und übersetzte gar Kästners Emil und die Detektive für Kinder ins Schweizerdeutsche.

Montag, November 06, 2006

Historische Depeschen aus Züri-Berlin



Die eine Karte schickte mir mein Vater aus Berlin nach Zürich, als ich 9 Jahre alt war. Das Bild zeigt das Brandenburger Tor um 1925.

Nicht ganz so historisch, aber doch irgendwie veraltet, ist die andere Postkarte aus Zürich, die ich heute in der Migros im Hauptbahnhof neben ganz grässlichen Exemplaren von bebilderten Feriengrüssen fand. Postkartenständer können manchmal zur erschreckenden Erkenntnis führen, wie schlecht die von hemmungslosen Postkarten-Verlagen gesteuerte Stadt-PR im Grunde ist.

Historisch mutet die Karte vor allem deswegen an, da sie noch mit dem alten Tourismus-Logo "ZÜR!CH - little big city" bestückt ist. Ein Slogan, dem viele nachtrauern, seit er vor ein paar Jahren von "Zürich - Downtown Switzerland" abgelöst worden ist. Little big city klang ungleich sympathischer als der oft verspottete, weil eingebildete "Wir- sind- der- Nabel- der- Schweiz- wenn- nicht- sogar- der- ganzen- Welt" - Spruch.

Bemerkenswert sind auch die unglaublich schlecht retouchierten Berge. Es ist zwar tatsächlich so, dass man von Zürich aus an schönen Tagen dank dem ominösen Föhn die Berge ganz wunderbar über dem See in den Himmel ragen sieht. Die Postkarte übertreibt aber nicht nur masslos mit der Grösse, sondern setzt auch noch schamlos die helvetische Tourismusmaschine Matterhorn in die rechte obere Ecke! Farblich ist diese Mogelpackung leicht zu erkennen, und wer auch nur die leisesten Schweizer Geografiekenntnisse hat, lacht über diesen Scherz. Dieser ist wohl Postkarten-Marketing-technisch zu verstehen. Mit der Absicht, hunderten von asiatischen Matterhorn-Pilgernden, die von Zürich aus wieder nach Japan, Korea und China fliegen, das Geld für eine 2 in 1-Postkarte aus der Tasche ziehen.

Samstag, November 04, 2006

Welche Wurst ist wurst

In Berlin isst man Currywurst. Am besten bei Konnopke an der Schönhauser Allee, am oberen Ende der Kastanienallee im viel beschworenen "Trendbezirk" Prenzlauer Berg. Konnopke's Imbiß an diesem lebhaften Knotenpunkt der Stadt ist auch einer der Lieblingsimbisse von Gerhard Schröder und wird gar in einem Song der Ost-Berliner Band „Silly“ mit dem Titel „Heiße Würstchen“ besungen.
Gute Currywurst isst man auch bei Curry 36 am Mehringdamm in Kreuzberg. Und natürlich gibt es tausend und einen weitere Currywurst-Stände in Berlin. In Zürich kenne ich hingegen keinen einzigen. Eine Marktlücke, denn inzwischen dürften ja einige Menschen in Zürich wohnen und essen, die eine Weile in Berlin gelebt haben, und nur schon aus Nostalgie-Gründen mal wieder eine Currywurst essen würden. Vielleicht sind aber auch allzu viele Vegis und dem Gesundheitswahn Verfallene unter den Heimgekehrten, sodass dem findigen Currywurst-Unternehmertum glatt ein Strich durch die Rechnung gemacht würde.

In Zürich isst man hingegen viel eher Kalbsbratwurst. Am besten im Vorderen Sternen am Bellevue, ebenfalls ein zentraler Verkehrsknoten. Der "Sternen" preist sich an, die grösste Wurst der Stadt zu verkaufen.

Ob "Konnopke" und der "Sternen" nun tatsächlich die besten sind, oder eher eine ideale Schnittmenge aus gut gelegen und ziemlich köstlich, bleibe dahingestellt. Auf jeden Fall scheinen Wurststände ein seltener Schmelztiegel sozialer Schichten zu sein. Es ist wurst, ob Bankerin oder Coiffeur: Alle noch übrig gebliebenen nicht-vegetarisch Ernährten treffen sich am zentral gelegenen Wurststand zur schnellen Verpflegung. Vom Junkie bis zur Cervelatprominenz, die ja auch deswegen den Namen einer weiteren in Helvetien populären Wurst trägt.

Und so endet auch schon bald dieser Blogeintrag, wie alles, was nur ein Ende hat. Nicht wie bekanntlich Würste. Obwohl auch diese nur ein Ende haben, solange man definiert, welches Ende das Ende und welches der Anfang ist. Ob nun Curry- oder Bratwurst ist einerlei. Zweierlei sind höchstens Wienerli, die bevorzugt als Paar auftreten. Um Wiener Würstchen soll es aber bei Züri-Berlin ja nun wirklich nicht gehen. Sollen die sich erst mal einig werden, ob das Original nun aus Frankfurt oder Wien stammt. Und zudem müsste es wohl noch einige Gammelfleischskandale geben, damit die Wurst dem Döner und seinen Abwandlungen den Rang 1 in der Fast Food-Hitparade wieder streitig machen könnte.

Foto Konnopke: Foto-Welten.de
Foto Sternen Grill: Sterne foifi