Samstag, Juli 29, 2006

Stadt der Gedenkstätten

Berlin ist mit seiner sehr bewegten Geschichte in der Liga der Grossstädte ein Spezialfall.
An vielen Stellen ist die Stadt noch gezeichnet von der Zertrümmerung im 2. Weltkrieg und die ehemaligen Mauerstreifen durchziehen die Stadt wie Narben. Mancherorts ist genau durch diese Narben ein Freiraum entstanden, der eine grosse Kreativität und viele bunte Projekte wie Freiluftkinos, Skaterhallen, Klettertürme, Konzert- und Partyräume hervorbringt. Gerade auch diese üben eine grosse Anziehung der Stadt auf junge Menschen aus aller Welt aus.

Während Berlin städtebaulich weiterhin im Umbruch ist, erinnern unzählige Gedenkstätten an schreckliche Ereignisse der Stadtgeschichte.

Die Gedenkstätte Topographie des Terrors ist eine Freiluftausstellung zum Regime der Nazis neben dem Martin-Gropius-Bau. Auf dem Ausstellungsgelände befanden sich von 1933 bis 1945 die wichtigsten Einrichtungen des nationalsozialistischen Verfolgungs- und Terrorapparats: die Gestapo, die SS und das Reichssicherheitsamt. Die Dokumente der Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und anderer sozialer Gruppen lassen erschaudern. Durch den Ort der Ausstellung wirken sie noch verstärkt: Während an jener Stelle stattliche Gebäude standen, wurden diese im Krieg verständlicherweise zerbomt. Was noch übrig geblieben war, wurde nach dem Krieg gesprengt. Noch heute ist das Gelände - auch wegen des ehemaligen Mauerstreifens - ausser der schlicht gehaltenen Ausstellung kaum bebaut. Der bekannte Schweizer Architekt Peter Zumthor hatte 1993 übrigens den Architektur-Wettbewerb für die Errichtung einer Gedenkstätte gewonnen. Ein Teil des Projekts stand schon, als es aus vorwiegend finanziellen Gründen zum Baustopp kam. Zumthors bereits halb gebaute Türme wurden wieder abgerissen und machten der heute zu sehenden Gedenkausstellung Platz.

Sowjetische Ehrenmale gibt es in Berlin mehrere. Das grosse Mahnmal für die sowjetischen Gefallenen steht im Treptower Park, das mit dem Velo in 10 Minuten von mir aus zu erreichen ist. Es hat durchaus seine Berechtigung, dass die russischen Opfern des 2. Weltkrieges gewürdigt werden. Gerade auch weil allzu oft vergessen wird, dass die Sowjetunion auch zu den aliierten Mächten gehört hatte, die gegen das Nazi-Regime gekämpft haben. Russland hatte zudem im Vergleich zu den USA auch viel mehr Menschenopfer zu beklagen. Die Grösse und besonders auch die propagandistischen Texte Stalins an den Steintafeln in sozialistischer Ästhetik wirken auf mich dennoch ziemlich irritierend.
Zentraler gelegen ist das kleinere sowjetische Ehrenmal an der Straße des 17. Juni alias "Fanmeile".

Die Gedächtniskirche am Bahnhof Zoo erinnert noch stark an die Berliner Trümmerlandschaft von einst. In den 1890er-Jahren errichtet, wurde die Kirche 1943 durch alliierte Bombenangriffe weitgehend zerstört. Der Turm blieb als Mahnmal gegen den Krieg erhalten, die modernen Bauelemente wurden in den 1950er-Jahren hinzugefügt.

Das Holocaust-Denkmal fand ich wiederum beeindruckend ästhetisch. Die symbolischen Grabstelen sollen zwar an eines der grausamsten menschlichen Verbrechen im 20. Jahrhundert erinnern. Das Sonnenlicht wird aber von den Stelen dermassen schön reflektiert, dass das Denkmal zusammen mit der eindrücklich wirkenden Anordnung der symbolischen Grabsteine irritierend fotogen ist. Grundsätzlich hilft dies aber, um so mehr Publikum anzuziehen, was dem Zweck eines Mahnmals ja durchaus dienlich ist.

Ein weiteres Denkmal in Berlin-Tempelhof erinnert an die Berliner Luftbrücke. Während der sowjetischen Berlin-Blockade wurde Westberlin zwischen Juni 1948 und Mai 1949 aus der Luft durch die Westalliierten versorgt. Ein ausgeklügeltes System der amerikanischen Luftwaffe machte es möglich, dass damals alle drei Minuten ein Flugzeug landen konnte. Die Luftbrückenflugzeuge wurden bekanntlich auch "Rosinenbomber" genannt.

Auch zu nennen wären unterschiedlichste Mauerdenkmale und -gedenkstätten, die 45 Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer wieder viel zu reden geben.

In Berlin-Kreuzberg steht ein Denkmal mit der Aufschrift "Leipzig". Es gedenkt wie das Völkerschlachtendenkmal in Leipzig den Opfern der Befreiungskriege gegen Napoleon. Rundherum liegt der grosse schöne Viktoriapark mit Wasserfall. Der Park liegt im Übrigen am einzigen "Berg" in Kreuzberg: ein Hügelchen für Schweizer Verhältnisse.

Der Besuch in Leipzig führte uns zum Völkerschlachtendenkmal, einem Wahrzeichen der Stadt und zudem dem grössten Denkmal Europas. Das Mahnmal gilt allen Opfern der Schlacht von 1813, die vor dem 1. Weltkrieg als grösste der Geschichte galt. Es kämpften Truppen aus Österreich, Preussen, Russland und Schweden gegen Napoleons Truppen. Deutsche mussten auf beiden Seiten kämpfen. Beachtlich fand ich, dass das Denkmal erst 100 Jahre nach der Schlacht im Jahre 1913 eingeweiht wurde. Ich fragte mich, ob im Jahre 2045 wohl noch jemand bereit sein würde, ein Denkmal für die Opfer des 2. Weltkrieges zu bauen..

Soweit ich weiss, steht in Zürich kein bekanntes Denkmal in Bezug auf den 2. Weltkrieg. Vor dem Zürcher Hauptbahnhof steht prominent der Industrielle Alfred Escher, an der Bahnhofstrasse der Pädagoge Heinrich Pestalozzi, an der Limmat hoch zu Pferd Hans Waldmann (Bürgermeister im 15. Jahrhundert) und beim Grossmünster der Reformator Huldrich Zwingli.
Die einzige mir bekannte Gedenktafel hängt in der Aula der Universität Zürich. Sie bezieht sich auf Winston Churchills Rede 1946 an die akademische Zürcher Jugend. Der auf der Tafel verewigte Schlusssatz seiner Rede lautete: "Therefore I say to you: let Europe arise!".
"Stattreisen" organisiert eine Stadtführung zum Thema Zürich im 2. Weltkrieg.

Alle Fotos von Sarah, ausser Viktoriapark und Völkerschlachtendenkmal von Wikipedia.

Mittwoch, Juli 26, 2006

Berlin-Hype



Als ich kürzlich beim Inhaber des türkischen Zeitungsladens in meinem Haus die "Süddeutsche" kaufte, meinte er, dass ich ja schon sehr viel Besuch hätte. Denn wenn er nämlich nicht im Laden ist, sitzt er davor, beobachtet das Geschehen und sieht, wer ein und aus geht. Berlin sei eben momentan die Stadt der Städte. Hier geschieht es und deshalb wollen alle dahin, erklärte er mir weiter.
Die ununterbrochenen Besucherströme, die von Zürich aus und vielen anderen Orten der Welt nach Berlin pilgern, lassen tatsächlich auf einen richtiggehenden Berlin-Hype schliessen.

Wer mich vor meinem Berlin-Aufenthalt in Zürich nach meinen Plänen fragte, bekam meist zu hören, dass ich mich zwar freue, nach Berlin zu fahren, mir aber die Tatsache, dass dies momentan alle machen, schon ziemlich auf dem Magen lag. Ich musste auch immer explizit betonen, dass die Familie meiner Grossmutter väterlicherseits Ur-Berliner sind und ich deshalb auch noch die Herkunft eines Teils meiner Familie ergründen wolle. Weit weg wollte ich damit den Verdacht weisen, ich sei eine dieser Berlin-Reisenden aus Trendgründen.
Unzählige Schweizerinnen und Schweizer sind in Berlin. Die bekannteste Zürcher Studentin Michèle Roten vom Magazin des Zürcher Tages-Anzeigers, die zurzeit ebenfalls ein Jahr in Berlin weilt, hatte just an meinem Abreisewochenende die Titelgeschichte des Magazins geschrieben:
So cool. Was junge Schweizer an Berlin finden.
Die schmunzelnden Kommentare vor meiner Abreise blieben natürlich nicht aus. Und das Timing war ja perfekt.
Kaum war ich in meiner Wohnung in Berlin rudimentär eingerichtet, las ich im Magazin der Berliner Zeitung:
Unsere heimliche Hauptstadt
Ein bisschen hässlich ist manchmal ganz schön. Warum viele Schweizer Berlin in ihr Herz geschlossen haben.
Wieder signiert mit Michèle Roten. Ich fand heraus, dass es sich um den gleichen Text handelte wie im Magazin des Tages-Anzeigers ungefähr zwei Wochen davor. Ich schrieb ihr in einer/einem E-Mail, dass sie mich etwas verfolge.

Inzwischen kann ich kaum mehr zählen, wie viele Schweizerinnen und Schweizer sich in Berlin aufhalten, die ich schon vor meinem Aufenthalt kannte, in diesen Monaten getroffen habe oder von denen ich gehört habe, dass sie auch hier sind oder hier waren. Im Tobistar-Blog beklagte sich ein Student, er sei wohl der einzige an der ganzen Uni Zürich, der noch nicht in Berlin war oder hinzugehen gedenkt. Und er macht sogar einen witzigen Logo-Vorschlag für die Berliner Zweigniederlassung der Universität Zürich:



Ziemlich erstaunt war ich, als ich neulich im Berliner "Tagesspiegel" las:
Wenig beliebt scheint die Spree bei den Schweizern zu sein, die mit 307 Fortzügen den Spitzenplatz belegen. Damit folgt der Alpenstaat dem Trend der vergangenen Jahre.
Berlin ist gemäss dem "Tagesspiegel"-Artikel vor allem für Polen und Franzosen attraktiv. Die türkische Gemeinde in Berlin wachse im Übrigen längst nicht mehr so stark wie die polnische.

Entweder habe ich eine verzerrrte Wahrnehmung, was die scheinbar ungebrochene Anziehung der deutschen Hauptstadt für junge Schweizerinnen und Schweizer betrifft. Oder die Berliner Wanderungsstatistik wurde im "Tagesspiegel" falsch interpretiert. Nämlich dass zwar viele wieder gehen, aber auch ganz viele kommen. Und viele sich nicht offiziell anmelden. Sondern regelmässig mit AirBerlin hin- und zurückjetten.
Oder es wohnten noch viel mehr Schweizer Landsleute in Berlin als ich bisher angenommen hatte, und die jetzt teilweise wieder wegziehen. Schweizer Landsleute werden Berlin auf jeden Fall nicht völlig abhanden kommen. Da bin ich mir ganz sicher.

Dienstag, Juli 25, 2006

DDR-Geschichte als Fast Food

Gleich neben der prominenten Abriss-Baustelle des ehemaligen DDR-Regierungspalasts wurde vor einer guten Woche das DDR-Museum eröffnet. Die zentrale Lage in der Berliner Innenstadt wird künftig wohl unzählige Touristinnen und Touristen anziehen, die sich über die Alltagskultur in der Deutschen Demokratischen Republik informieren wollen. Anspruch auf eine erschöpfende Darstellung des Alltagslebens einer vergangenen Epoche hat das Museum nicht. Es möchte einen "lebendigen, anregenden und authentischen Eindruck" vermitteln, heisst es in der Infobroschüre.

Der Rundgang ist durch die Überschaubarkeit der Ausstellung in einer knappen Stunde gut zu schaffen, die Texte zu den ausgestellten Objekten sind kurz und knackig. Viele Aspekte des DDR-Alltags werden angedeutet und mit Originaldokumenten und Gegenständen teilweise wunderbar illustriert. Die Idee, das Alltagsleben in der ehemaligen DDR ins Blickfeld zu rücken, besticht durchaus: Sie verspricht eine Brücke zu bauen zwischen dem Ostalgie-Kommerz und der eher ernsthaften Auseinandersetzung mit der DDR (wie zum Beispiel die Überwachung der Stasi im hervorragenden Film "Das Leben der Anderen").

Spannend fand ich im Museum die Darstellung der FKK-Kultur oder des Umgangs mit Musik. Eine der beliebtesten DDR-Rockbands waren die "Puhdys". Beat-Musik wurde hingegen von der Regierung abgelehnt und Liedtexte zensiert. Interessant ist auch die Geschichte um die LPGs (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften), die im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft mehr oder (oft) weniger freiwillig entstanden sind. Auch die ausgestellten "Urlaubsausweispapiere" im Original und die Thematisierung der Medienzensur haben mir gefallen. Neben einem Modell-"Trabi" (das DDR-Auto hiess eigentlich "Trabant") wird die Herstellungsart der Karosserie beschrieben. Diese war ursprünglich zu einem grossen Teil aus Duroplast – einem Kunststoff aus Phenolharz und Baumwolle – gefertigt, was dem Auto den Namen "Rennpappe" einbrachte (Schweizer Übersetzung für "Pappe" ist übrigens "Karton").

Es besteht aus meiner Sicht allerdings die Gefahr, dass durch die stark verkürzte Darstellung das neue Museum zu einer weiteren Stätte des oberflächlichen Geschichtstourismus verkommt. Ähnlich wie der "Checkpoint Charlie", dem bekanntesten ehemaligen Grenzübergang der Berliner Mauer, wird das Museum wohl zu einer touristischen Sehenswürdigkeit, die man im Programm "Berlin in drei Tagen" nach dem Fernsehturm und vor der Currywurst mit Pommes noch rasch abklappert. Ähnlich wie man sich trotz Besuch am "Checkpoint Charlie" kaum darum scheren mag, was denn die Mauer wirklich für Menschenschiksale und Familiengeschichten bedeutet hat und welche Auswirkungen dies bis heute hat.

Ein grosser Zweig der Berliner Tourismusindustrie lebt vom Geschäft mit dem DDR-Kult, der Verniedlichung des vergangenen Staates in Souvenirform. Neben dem Verkauf von Spielzeug-Trabis, Mauerstückchen mit Echtheitszertifikat, DDR-Fussball-Shirts gibt es diverse Ampelmann-Shops, die neben Postkarten mit den beliebten Ost-Ampelmännchen auch Ampelmann-Likör, Gummi-Ampelmännchen in rot und grün, Taschen und Flip-Flops verkaufen.

Ich werde leider das Gefühl nicht los, dass das Museum neben etwas Geschichts-Fast Food vor allem dieser Industrie zudient. Nichts dagegen, dass sich Touristinnen und Touristen, die sich sonst nicht mit Geschichte befassen oder nur wenige Eckpunkte der DDR-Vergangenheit kennen, einen genaueren Einblick erhalten. Für Menschen aber, die tatsächlich in der DDR gelebt haben, stünde es Berlin gut an, ein Museum bereitzustellen, das sich etwas ausführlicher mit der Vergangenheit beschäftigt, statt bloss an der touristisch kommerzialisierbaren Oberfläche zu kratzen.

Montag, Juli 24, 2006

Stadt-Bären statt echten Braunbären


Die Zürcher Innenstadt wurde 2005 vom Teddy Summer heimgesucht. Farbige Bären überall, eine grosse Anzahl davon mit klarer Werbebotschaft. Als Sponsorin trat die Zürcher City-Vereinigung auf. Aktivistinnen und Aktivisten wehrten sich dagegen, dass alternative Kulturräume, die wie das "Ego-City" offenbar das Stadtbild stören, geschlossen werden, während die City-Vereinigung die Stadt mit hässlichen farbigen Bären verunstalten durfte. Unter anderem durch Bären-Entführungsaktionen wurde versucht, eine Diskussion um die Gestaltung des öffentlichen Raums in Gang zu bringen. Die jungen Grünen nutzten die Bären zudem als Plattform für Klimaschutz.

Farbige Bären stehen diesen Sommer auch in Berlin. Mir schwante ein Déjà-vu. Während der Zürcher Bärensommer eine PR-Aktion für die City-Vereinigung war, werben die Berliner Buddy Bears immerhin für einen guten Zweck: Der Erlös einer Versteigerung soll Kindern in Not zu Gute kommen.
Die Stadt "Bärlin" steht zudem nicht unter Rechtfertigungsdruck, warum sie ausgerechnet Bären aufstellt. In Zürich wirkten die Bären umso hilfloser, da eindeutig der Löwe das städtische Wappentier ist. Bären gehören - wenn überhaupt - nach Bern und Berlin. In Städten ist das Bären-Leben sicherer geworden als auf dem ursprünglich ländlichen Territorium: In Bayern jedenfalls war Braunbär Bruno diesen Sommer nicht erwünscht. Er hätte sich farbig anmalen müssen und sich in einer Grossstadt unbeweglich aufstellen müssen. Es hätte ihn garantiert ein weniger tragisches Schicksal ereilt.

Nachtrag:
Der Name Berlin hat scheinbar nichts mit dem Bären im heutigen Stadtwappen zu tun. Er geht vermutlich auf die slawische Silbe berl (Sumpf) zurück.

Der neue alte Fernsehturm

Ich kann es kaum erwarten bis der Fernsehturm in altem neuem Glanz wieder über Berlin strahlt!

Zu Beginn fand ich die Idee, während der WM die Kugel des Turms in einen Fussball zu verwandeln, eigentlich ganz witzig. Als sich die Aktion dann aber als gigantische Werbeaktion in der Corporate Design-Farbe der ehemals staatlichen deutschen Telekom T-Com entpuppte, schwand meine Begeisterung. Als ich dann noch die hier beschriebenen fantastisch mühsamen Anlaufschwierigkeiten mit der T-Com hatte, nervte mich der tägliche Anblick des magenta-farbenen Turms zunehmend. Der Fernsehturm hatte mich als Sehenswürdigkeit positiv überrascht. Besondere Freude bereitete mir die Ästhetik im drehenden Turm-Restaurant hoch über der Stadt und der Eingangsbreich des DDR-Prestigebaus, der in den 60er-Jahren errichtet wurde.


Gerade solche penetranten Werbeaktionen wie der T-Com-Fernsehturm bringen mich zu einer gewissen Überzeugung, dass sich der Staat unbedingt zurückhalten sollte, bevor er alles in die Hände privater Firmen abgibt. Grossunternehmen mögen zwar als nette Sponsoren auftreten, wollen sich dafür aber mächtig selbst in Szene setzen. Auf ähnliche Gedanken brachte mich die neulich entdeckte "Volkswagen-Universitätsbibliothek" bei der Technischen Uni Berlin.




Der nächste Werbestreich der T-Com ist übrigens bereits geplant: Die Fußball-Bundesliga heisst wohl ab nächstem Jahr „T-Com-Bundesliga“.

Wohnen im Wachturm

Am Ende der Schlesischen Straße, fünf Gehminuten von meiner Wohnung, steht noch ein Grenzwachturm aus Mauerzeiten. Davor steht seit einiger Zeit ein grosses Bauschild mit der Aufschrift "Wohnen im Turm".
Wachtürme sind nach meinem Empfinden eine eher schauerliche Erinnerung an noch nicht allzu lang vergangene Zeiten. Wochenlang empörte ich mich etwas über das Projekt, da ich der Überzeugung erlag, dass sich dahinter ein skrupelloses Architekturbüro versteckt, das aus dem Überrest der Mauer ein hippes Einfamilienhaus machen möchte. In diesem zunehmend hip werdenden Stadtteil, sagte ich mir mit steigender Empörung, würden sich bestimmt ein paar zugezogene Berliner Szenis finden, die es total cool fänden, in einem ehemaligen Grenzwachturm zu wohnen.

Erst kürzlich nahm ich zur Kenntnis, dass hinter dem Projekt das raumlabor_berlin steht. raumlabor_berlin ist eine Gruppe für Architektur und Städtebau, deren Projekte sich mit Städteplanung, Landschaftsarchitektur, Gestaltung des öffentlichen Raumes und künstlerischen Installationen auseinandersetzen.

Dass es sich um eine spielerische Aktion handelt, die zwar durchaus mit etwas PR für raumlabor_berlin verknüpft ist, hat mich nach den bösen Vermutungen dann doch sehr erleichtert.

Gelassen verpassen

Im CityNightLine von Zürich nach Berlin notierte ich mir im April neben anderen Gedanken zum bevorstehenden Berlin-Aufenthalt als Ziel:

Gelassen bleiben bezüglich des ausladenden Kulturprogramms: weniger ist mehr.

Ich wusste noch von meinem 10-tägigen Aufenthalt letzten Sommer, dass es in Berlin schlicht unmöglich ist, alle interessant klingenden Kulturveranstaltungen nur schon im Auge zu behalten, geschweige denn zu besuchen. Wer in Zürich den "züritipp" durchblättert, schafft es noch einigermassen, sich zumindest einen Überblick über das Angebot zu verschaffen. Das kann man hier glatt vergessen. Die eingehende Lektüre der unzähligen Veranstaltungsmagazine wie "zitty", "Tip" oder "Siegessäule" würden Stunden dauern. Gelingt es überhaupt mal, einen spannenden Anlass, ein Theater, eine Party, einen nur selten gezeigten Kinofilm aus dem Überangebot auszuwählen, dann ist das gleichzeitig eine Entscheidung gegen drei, vier andere vielleicht ebenso interessante Anlässe, die man dann unweigerlich verpasst. Wenn dann der Anlass doch nicht so toll ist, wie man erwartet hat, dann schleicht sich rasch das Gefühl ein, falsch gewählt zu haben: im falschen Film zu sitzen oder auf der falschen Party zu tanzen.

Da es meist ewig dauert, um in einen anderen Stadtteil zu reisen, hilft dies immerhin mit der Zeit, schon eine ganze Anzahl Veranstaltungen auszublenden, da diese einfach zu weit weg oder verkehrsungünstig gelegen sind. Ausserdem kann man in Berlin - fast eher als in Zürich - auch mal einen Abend getrost zu Hause bleiben, da man sowieso so viel verpasst. Aber ein wenig gewurmt hat es mich zugegebnermasse neulich dennoch, als ich erfahren habe, dass "The Who" 500 Meter von mir in der Arena gespielt haben und ich nichts davon gewusst hatte...

Montag, Juli 10, 2006

Am 1. August: Zürcher Kebab für Berlin


Auf Anregung des skandalumwitterten ehemaligen Schweizer Botschafters in Berlin, Thomas Borer, darf sich am Schweizer Nationalfeiertag jedes Jahr ein anderer Kanton der deutschen Hauptstadt präsentieren.
Dieses Jahr ist der Kanton Zürich an der Reihe. Vier Stunden lang darf sich mein Heimatkanton am 1. August auf der pompösen Berliner Strasse „Unter den Linden“ präsentieren. Die Zürcher Regierung liess gemäss NZZ Online verlauten, man wolle das Bild der „ernsthaften, strengen und fleissigen Zürcherinnen und Zürcher“ mit Eigenschaften wie „lustvoll, sinnlich und lebensfroh“ ergänzen. Dafür sollen Auftritte der Jazzpianistin Irène Schweizer, der Cabaret-Gruppe Ackapickels und erfahrbare Duftwelten sorgen. Unter dem Motto «Zürcher Duft in der Berliner Luft» sollen Seeduft, Waldduft, Rosenduft und eventuell sogar Goldduft (die ETH sei noch am tüfteln) auf dem breiten Berliner Boulevard verbreitet werden. Zusätzlich soll eine Art „Kebab nach Zürcher Art“ an Vorbeigehende verteilt werden: eine Brottasche gefüllt mit „Züri Gschnätzletem“ mit Champignons. Bei der Pressekonferenz in Zürich gab es die kulinarische Neukombination zu kosten. Die NZZ empfiehlt zusätzliche Servietten hinzuzuziehen oder ganz sorgfältiges, seitliches Hineinbeissen.

Sonntags-Duell in Berlin und Zürich

Sonntag war in den Städten Berlin und Zürich Duell-Tag.

Das italienisch-französische Fussball-Duell in Berlin hat das italienische Team für sich entschieden.
Das Polit-Duell um den Sitz in der Zürcher Regierung ging buchstäblich „Gut“ aus.
Gewinnen können jeweils nur die einen. Der einen Freude ist der anderen Leid.

Ganz einig ist man sich jeweils kaum, ob ein Sieg gerecht und verdient ist. Und auch Glück und Pech liegen manchmal näher zusammen als man denken könnte, wie folgende Geschichte, die Laotse zugeschrieben wird, zeigt:

Ein alter Mann, der in seinem Dorf für töricht gehalten wurde, hatte ein Feld, das von seinem Sohn mit einem Pferd bearbeitet wurde. Eines Tages, als das Pferd entlaufen war, bedauerten ihn alle Nachbarn und sagten: "Welch ein Unglück!" Der alte Mann jedoch erwiderte: "Glück oder Unglück, was solls." Einige Tage später kehrte das Pferd mit zwei weiteren wilden Pferden zurück und die Nachbarn beneideten ihn: "Welch ein Glück!" Der alte Mann jedoch erwiderte: "Glück oder Unglück, was solls." Einige Tage später fiel der Sohn des alten Mannes beim Zureiten der wilden Pferde aus dem Sattel und brach sich das Bein. Wieder bedauerten ihn alle Nachbarn und sagten: "Welch ein Unglück!" Der alte Mann jedoch erwiderte: "Glück oder Unglück, was solls." Einige Tage später kamen die Soldaten des Kaisers und rekrutierten alle jungen Männer des Dorfes, nur den jungen Mann mit dem gebrochenen Bein liessen sie zurück. Und wieder beneideten ihn die Nachbarn: "Welch ein Glück!" Der alte Mann jedoch erwiderte: "Glück oder Unglück, was solls." Hinfort hielten alle im Dorf den alten Mann für weise.

Nie mehr Fussball

Zu allem Fussballüberfluss der letzten Wochen habe ich am Wochenende an einer dreitägigen internationalen Konferenz teilgenommen: Am Ball der Zeit: Die Fußball-WM 2006 als Ereignis und Faszinosum (Programm).

Auf hohem – zuweilen auch abgehobenem – Niveau wurde im noblen, aber klimatisch und akkustisch eher ungeeigneten Senatsaal der Humboldt Universität über das kulturelle Drum und Dran des beliebtesten Ballsports diskutiert. Eher trockene Beiträge wurden auch von nachdenklichen bis witzigen Vorträgen, Diskussionen und Wortmeldungen ergänzt. Es ging um die zelebrierte Männlichkeit des Sports, die Rolle des Fernsehens und die allgemeine Medialisierung, um Gesichtsausdrücke von Spielern, Trainern und Prominenten im Publikum, das Heranzoomen von Stars wie Ronaldo, Figo und Ballack. Auch die Ästhetik des Fussball und die sozialen Funktionen des Spiels, beim dem es um Alles und Nichts geht, wurden diskutiert.

Der unterhaltsamste Beitrag war jener des Philosophen Arnd Pollmann zum Thema „Flankengott, erbarme dich! Fan-Sein als ekklesiogene Neurose“, der genauso Show wie wissenschaftlicher Vortrag war. Pollmann zeigte auf sehr witzige Art, dass Fussball nicht – wie oft behauptet – Religionsersatz ist, sondern dass sowohl Fussball wie auch Religion beide Ersatzhandlungen sind für dasselbe „fundamentalpsychologische Phantasma“. (Solche Wörter scheinen mir kennzeichnend für eine elitäre Eitelkeit in gewissen wissenschaftlichen Kreisen zu sein.) Sehr einleuchtend fand ich seine Typologisierung von Fans, die ich hier zusammengefasst wiedergebe. Sie reicht von scheinbaren Fans bis zu bedrohlichen Fans.

  • Viele Prominente sind scheinbare Fans, die ins Stadion gehen, um selbst gesehen werden.
  • Moralische Fans geben sich als unparteiisch, sind Anhänger des Fair-Play und betonen, die besseren mögen gewinnen.
  • Ästhetikorientierte Fans setzen allein auf die Schönheit des Spiels. Sie sind in den Augen echter Fans „bindungslos flottierende Schöngeister“.
  • Verkappte Fans sind z.B. deutsche Kleinbürger, die sich ein exotisches Brasilien-Trikot über den Bierbauch stülpen oder politisch Korrekte, die auf die aussichtsreichste afrikanische Mannschaft im Turnier setzen. Sie wollen zwar, dass die eigene Mannschaft gewinnt, doch die Mannschaft, die sie unterstützen, ist irgendwie nicht wirklich die eigene.
  • Ressentiment-Fans sind oft im linken politischen Spektrum zu finden. Dort favorisiert man gerne Outsider wie Senegal oder St. Pauli. Hauptsache Deutschland oder der lokale Club kommt nicht weiter.
  • Schön-Wetter-Fans sind gegen aussen treue Fans, ziehen sich aber bei drohendem Misserfolg schnell zurück.
  • Sporadische Fans ziehen auch mal zur WM in den Strassen mit und probieren mal aus, ob das Fussballfieber wirklich ansteckend ist.
  • Die bedrohliche Steigerung von „Fan“ ist „englischer Fan“. Englische Fans nehmen Fussball bitterernst. Ihre eigene Ehre und Identität steht auf dem Spiel.
  • Das bedrohlichste Fan-Dasein leben Hooligans. Sie machen die Unterscheidung zwischen Freund und Feind, die eigentlich auf dem Spielfeld spielerisch sublimiert werden soll, zu ihrem Lebensinhalt und leben diese triebhaft aus.

  • Ich halte mich übrigens für eine Mischung aus moralischem und ästhetikorientiertem Fan mit einem Hauch Ressentiment-Fan.

    Hartmut Böhme, Professor für Kulturwissenschaft, bei dem ich auch eine Vorlesung über das vielleicht erstaunliche Thema „Kultur- und Wissensgeschichte über das Leere und Nichts“ besuche, referierte in gewohnter Wortvirtuosität (die wiederum teilweise Ausdruck intellektueller Eitelkeit sein mag) über „Idole und Bälle. Fußballkultur und Fetischismus“.

    Abgerundet wurde die Tagung durch verschiedene Nebenschauplätze wie zum Beispiel ein Jöggeli-Turnier (=Kicker-Turnier) mit „Länderspielen“. Ironischerweise kamen bei der an Tischen nachgefühlten WM immer genau jene Teams weiter, die bei der diesjährigen WM ausgeschieden sind. Neben dem hervorragenden Film zu Frauen und Fussball namens „Fußballgöttinnen“ gehörte für mich ein Fussballspiel auf dem Innenhof der Humboldt-Universität zu den Höhepunkten, der liebevoll organisierten Tagung, von der ruhig noch mehr Interessierte hätten profitieren können.

    Ich verspreche, dass dieser Beitrag die letzte ausführliche Belästigung allfälliger Blog-Leserinnen und –Leser mit Fussball und WM gewesen ist. Es ist höchste Zeit geworden, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen zuwendet.

    Donnerstag, Juli 06, 2006

    Pizza-Boykott in Deutschland?

    Die türkische Fussballnationalmannschaft scheiterte vergangenen November für die WM-Qualifikation an der Schweizer Elf. Beschimpfungen und grobe Handgreiflichkeiten türkischer Fans gegen das Schweizer Team und dessen Fans waren die Folge.

    Das Schweizer Fernsehen berichtete ein paar Tage später:
    Döner-Boykott nach Spiel in Istanbul
    Das Spiel in Istanbul vom Mittwoch hat die Beziehungen zwischen Schweizern und Türken nachhaltig getrübt. Das merken nicht nur die Betreiber von Kebabrestaurants. Türken, die schon seit Jahren in der Schweiz leben, fühlen sich um Jahre zurückgeworfen punkto Akzeptanz.

    Angeblich haben auch gewisse türkisch geführte Läden in Deutschland während der WM ganze Flaggenreihen aufgehängt, das Schweizer Kreuz aber entfernt.

    Nach der deutschen Niederlage gegen Italien vom letzten Dienstag stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob es nun in Deutschland zu einem allgemeinen Pizza- und Pastaboykott kommen wird oder ob man das Ausscheiden kurz vor dem Final einfach so wegsteckt. Ich empfinde allerdings die allgemeine Stimmung als etwas gedrückt.

    Beim "Kebab-Boykott" nach dem WM-Aus für die Türkei stellte sich allerdings heraus, dass die meisten Kebab-Buden von Kurden geführt werden, von denen beim Spiel viele für die Schweiz waren. Auch in Berlin dürfte gastronomische Tradition nicht unbedingt mit der nationalen Zugehörigkeit im Verkauf zusammenfallen. Der nette Herr, bei dem ich an der Oranienburgerstraße schon zwei Mal türkischen Fallafel gekauft habe, stammt jedenfalls aus Ex-Jugoslawien. Und am Schlesischen Tor verkaufen auch türkische und andere Landsleute Pizza.

    Ob die frustrierten Ankündigungen von Deutschlandfans nach dem verlorenen Spiel
    "Nie wieder Pizza, nie wieder Pasta!"
    tatsächlich umgesetzt werden, ist fraglich. Man würde sich jedenfalls allzu einfach um eine valable Essensalternative bringen und den Vorsatz wahrscheinlich bald bereuen.

    Montag, Juli 03, 2006

    Literaturpreis im eigenen Haus

    Vor ein paar Tagen stand auf der Frontseite der NZZ Online, die ich fast täglich anklicke: „Ingeborg-Bachmann-Preis an Berlinerin Kathrin Passig“.


    Die Vergabe des prestigeträchtigen Literaturpreises an eine Wahlberlinerin bestätigte meine These, dass in dieser Stadt, und gerade in Kreuzberg, überdurchschnittlich viel Geist und Kreativität vorhanden ist.

    Kurz darauf las ich in einem der bekanntesten deutschsprachigen Blogs überhaupt namens Spreeblick – selbstverständlich auch ein Berliner Produkt – von Glückwünschen an Kathrin Passig. Da stand auch, dass Frau Passig eine Mitgründerin der „Zentrale Intelligenz Agentur“ ist. Das war mir plötzlich sehr vertraut.


    Schliesslich hatte ich noch in den ersten Wochen im Ausland, die Klingelschilder neben meiner Haustür fotografiert, da mir „Haus der frohen Zukunft – Zentrale Intelligenz Agentur“ ein typisches Beispiel schien für die brotlose Kreativität in der deutschen Hauptstadt.


    Am nächsten Abend las ich den Namen Kathrin Passig neben meinem Briefkasten. Und noch einen Tag später fand in meinem Hinterhof ein kleines Fest zu Ehren der Preisträgerin statt. Ich rief einen kurzen Glückwunsch über den Hof, während ich mein Velo parkierte (bzw. Fahrrad parkte). Erst vorgestern habe ich schliesslich den preisgekrönten Text minutenlang über meine lahme Internetleitung heruntergeladen: Er beschreibt den inneren Dialog einer ziemlich besserwisserischen Person, die sich in einem Schneesturm verirrt und sich schrittweise der Erfrierung nähert. Trotz der an sich dramatischen Situation versprüht der Text grossen Witz. „Todlustig“ und „makellos“ hiess es aus der Jury bei der Preisverleihung. Wer mit Literatur nicht viel am Hut hat, kann sich das Vorstellungsvideo der Autorin anschauen. Da wird der im Text lesbare Humor auch sichtbar. Es wird auf das Medienereignis "Rütlischule" in Berlin angespielt (vielleicht auch auf die Berliner literarische Gruppe Rütli aus vergangenen Zeiten und wohl kaum auf das Schweizer Rütli und den dazugehörigen Schwur). Auch die umstrittene Bücherskulptur, die aktuell vor der Humboldt-Universität steht, wird gezeigt.

    Seither klicke ich mich mich ab und zu durch die im Internet reichlich vorhandenen Texte von Kathrin Passig unter Zentrale Intelligenz Agentur und Riesenmaschine und andere. Beide Webseiten sind eine Entdeckung. An der Riesenmaschine finde ich neben den witzigen Texten besonders sympathisch, dass sie auf mein an dieser Stelle auch schon geäussertes Anliegen im Fall „ß“ eine radikale Antwort haben:



    Manchmal braucht es offenbar den Hinweis der NZZ in Zürich, um zu bemerken, dass im eigenen Haus in Berlin eine Literaturpreisträgerin und deren geistreiche Mitagenten der "Zentrale Intelligenz Agentur" aktiv sind.

    Audienz beim abwesenden Bundespräsidenten

    Mit der „Abteilung Internationales Humboldt-Universität zu Berlin“ erhielten wir letzten Mittwoch Zutritt zum Bundespräsidialamt und dem dazugehörigen Schloss Bellevue. Während Frau Bundeskanzlerin Merkel sich ja grosser Aufmerksamkeit und sogar Beliebtheit bei türkischen Imbissbuden (siehe weiter unten) erfreut, ist der deutsche Bundespräsident praktisch unbekannt und vergleichsweise machtlos. Sein Name ist übrigens Horst Köhler – für jene, die den Namen tatsächlich noch nie gehört haben sollten. Als er für das Amt nominiert wurde, titelte die auflagenstarke BILD-Zeitung (der Schweizer „Blick“ ist dagegen eine Qualitätszeitung): „Horst Wer???“.


    Modell des neuen Bundespräsidialamts und Repräsentationshaus Schloss Bellevue

    Bundespräsident Köhler – der bei unserer Besichtigung gerade auf polnischem Staatsbesuch war – waltet und schaltet in einem brandneuen ovalen Gebäude. Angeblich hat das verantwortliche Architekturbüro sogar darauf geachtet, dass der Bau von oben gut aussieht, wenn der Präsident und die internationale Politprominenz mit dem Helikopter (im lokalen Dialekt heisst das fliegende Ding übrigens Hubschrauber) im Anflug sind.




    Der ovale Neubau des Bundespräsidialamtes gefiel mir besonders von innen, während ich von der Innenausstattung im Schloss Bellevue teilweise eher irritiert war. Im Schloss Bellevue empfängt der Bundespräsident Angehörige des internationalen politischen Parkett. Wir wurden ausführlich darüber unterrichtet, dass nur andere Staatsoberhäupter das Schloss über einen roten Teppich betreten dürfen. Diplomaten und Aussenministerinnen erwartet ein weniger zeremonieller Empfang. Die First Ladies und First Gentlemen dürfen sich dann in Nebenräumen auch miteinander unterhalten.


    Die Räumlichkeiten sind sehr unterschiedlich und widerspiegeln verschiedene Epochen. So kommt ein Schlossrundgang einer verwirrenden Zeitreise gleich. So bemerkte ich, dass ich ein Faible für Repräsentativräume im Stil der 50er Jahre habe. Gleich neben dem 50er-Jahre-Raum befindet sich ein Ballsaal, der eher klassizistisch gestaltet ist (mit Säulen und Statuen im Stil der Antike) und noch einen Raum weiter ist ein grosser Saal mit grossflächigen modernen Farbbildern in gelb und violett, die für meinen Geschmack weder zum Holzboden noch zum überwiegend hellblauen Teppich passten. Immerhin war ich überaus fasziniert von der Vielfalt von Kronleuchtern, für die ich bisher kaum etwas übrig hatte.




    Falls Frau Merkel dem Bundeshaus Bern mal einen Besuch abstatten sollte, schlage ich vor, dass wir für Horst Köhler am Zürcher Bellevue einen roten Teppich ausrollen, damit der arme Präsident auch etwas Aufmerksamkeit kriegt und etwas aus dem Schatten der Kanzlerin heraustreten kann. Zudem würde er dann sehen, dass das Bellevue in Zürich seinem Namen tatsächlich gerecht wird und eine schöne Aussicht auf den Zürichsee bietet, während sein Schloss Bellevue in Beriln ausser den Bäumen im Tiergarten seinem Namen keineswegs alle Ehre macht.

    WM zum Zweiten

    Die Schweizer Nationalmannschaft weilt seit einer Woche nicht mehr im Lande. Bissige Kommentare über das peinliche Penaltyschiessen – hierzulande Elfmeterschießen genannt – müssen aktuell wohl viele Schweizer Landsleute im ausländischen Exil über sich ergehen lassen. Und obwohl ich nie patriotisch genug war, um mich in flaggenfarbene Fanmontur zu werfen (wie jene junge Schweizerin, die ich vor dem Schweiz-Korea-Spiel im Berliner Treptower Park fotografiert hatte), habe ich mit der Schweizer Nati mitgefiebert und war zugegebenermassen schon auch etwas enttäuscht als die Ukraine jubelte, obwohl doch die Schweiz besser gespielt hatte. Patriotismus ist eben im Ausland immer schöner.




    Dass nun Brasilien gegen „les bleus“ verloren hat, macht die wunderschön gemalten Grafittis von Ronaldo und Ronaldinho neben der Oberbaumbrücke in Kreuzberg zu einer schmerzhaften Erinnerung an die Niederlage.
    Vielleicht kann nun der Fussballengel, Bestandteil einer anderen kunstvollen Hausbemalung nahe dem Oranienburger Tor (die sich leider später als versteckte Nike-Werbung herausstellte), wenigstens die deutsche Nationalmannschaft am Dienstag ins Finale begleiten. Es würde die ansteckende euphorische Stimmung im Land noch etwas verlängern, was auch mich freuen würde, obwohl ich neulich in einem Artikel WM-kritische Stimmen für das neue Internetzeitungs-Projekt Readers Edition zusammengefasst habe.


    Nachtrag zum Eintrag über Ampelmännchen:

    Auf der WM-Fanmeile zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule (Foto: Blick von der Siegessäule Richtung Brandenburger Tor) herrscht eine Art Jahrmarktstimmung, wenn gerade keine Fussballspiele auf die riesigen Bildschirme übertragen werden und Tausende von Fussballfans jubeln und feiern.
    Ein Stand auf der Fanmeile beweist, dass sich die Kombination Fussball und Verkehrsampeln durchaus für einen Lebensunterhalt eignen: