Dienstag, Oktober 31, 2006

Müll & unvirtueller Spam

In Berlin-Kreuzberg schreckte ich oft auf, weil es bei mir fast täglich unerwartet klingelte. Meistens war es wohl jemand von der Müllentsorgung, der oder die sich Zutritt zum Innenhof verschaffen musste.
In Zürich funktioniert die Entsorgung grundsätzlich anders. Sie nennt sich erstens Abfall- und nicht Müllentsorgung, und zweitens ist sie auch nicht - wie in Berlin - in den Nebenkosten der Miete inbegriffen. Gebührenpflichtige Züri-Säcke kauft man in der Limmatstadt im Supermarkt und stellt diese gemäss einem Entsorgungskalender, der nach einem Quartier-Rotationssystem funktioniert (Quartier=Kiez), an die Strasse, oder wirft sie - wenn vorhanden - in einen Container. Glasflaschen (nach braunen, grünen und weissen getrennt), PET-Flaschen und Aluminium müssen in dunkelblaue Sammelcontainer gebracht werden, die sich nicht unbedingt in unmittelbarer Nähe des Hauses befinden. Die Entsorgung im Innenhof fand ich ungleich praktischer. Das Klingeln an der Haustüre war allerdings oft störend.

In Zürich ist es eher ungewöhnlich, dass jemand zu Hause klingelt, und wenn das doch vorkommen sollte, ist es fast immer angemeldeter Besuch, auf den man sich freut. Erst gestern klingelte es gegen Mittag. Eine sympathische Frau begann sogleich, mir irgendetwas von Jubiläum von irgendeiner Firma und Würze zu erzählen. Ich fragte unverhohlen, ob sie mir etwas aufschwatzen wolle. Nein, natürlich wolle sie niemandem etwas aufschwatzen. Ich brachte es nicht über das Herz, einfach wieder die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Sie drückte mir einen Stapel "Informations"blätter in die Hand und ein Müsterli mit "Vegetabiler Streuwürze". "Können Sie auch im Internet bestellen, oder ich komme einfach wieder vorbei. Sie haben doch Internet, oder?" - "Äh, jaja, danke und schönen Tag noch." Als ich die Tür wieder hinter mir ins Schloss fallen liess, dachte ich mir, dass das persönliche Vorbeikommen an der Haustür ja schon fast etwas Anachronistisches hat. Jedenfalls im Zeitalter von Spam-Mails, "relevanten Textanzeigen" (Google-AdWords und -AdSense) und personalized advertisement. Jemanden an der Haustüre abzuwimmeln, ist zur Abwechslung ganz nett, wenn man sich sonst schon täglich damit herumschlägt, Spam-Mails den virtuellen Garaus zu machen. In Berlin im digitalen Mülleimer, in Zürich im virtuellen Abfallkorb.

Foto Züri-Sack von hier

Uni-Mensa-Gespräche

Vielleicht habe ich mich in Berlin der Uni-Mensa zu sehr ferngehalten, obwohl es da scheinbar Gerichte ab 2 € gibt, die aber längst nicht so gut schmecken wie die Pizza an der Falckensteinstraße in Kreuzberg, die genauso wenig kostet. Nur die Cafeteria der Humboldt Uni kannte ich gut, aber auch da habe ich keine Tischgespräche mitbekommen wie neulich in der oberen Uni-Mensa in Zürich. Mir blieb für einen Moment der Gemüsecurry mit Mandelreis im Mund stecken, als ich zwischen der Konversation mit meiner Begleitung von nebenan plötzlich erstaunliche Worte aufschnappte:
"Die schwul Uni hät ja nöd emal Iiistee i Fläsche. Das isch ja voll diskriminierend!" (=An dieser schwulen Uni gibt es ja noch nicht mal Eistee in Flaschen. Das ist ja voll diskriminierend!)
Das muss ein ernsthaftes Problem sein: Eistee, der nicht in Flaschenform daherkommt. In den Gesichtern der beiden jungen und auffällig modebewusst gestylten Damen stand keine Ironie geschrieben. Und was hätte man darauf auch entgegnen wollen. Es wird wohl Zeit für mich, das Studium abzuschliessen und mal wieder eine sozio-linguistische Abhandlung über Jugendsprache zu lesen. Unterdessen kaute ich den Reis fertig und versuchte, trotz der erschreckten Belustigung, das unterbrochene Gespräch weiterzuführen.

Foto von hier
Und die "schwule" Uni heisst in Zürich übrigens zart & heftig und in Berlin mutvilla.

Sonntag, Oktober 29, 2006

Selters - das blaue Flaschenwunder

Die schönste Mineralwasserflasche, die mir je zu Augen gekommen ist: die blaue von Selters (hier im schönsten Biergarten in Berlin-Mitte: Clärchens Ballhaus).
Aber leider enthält die gläserne Schönheit nur 2 dl Mineralwasser. In Zürich bestellt man "es Mineral" oder "drüü Dezi Mineral" (3 dl Mineralwasser), in Berlin ordert man "ein Mineralwasser". "2.0 oder 4.0" ("zwei null oder vier null")?, lautet dann jeweils die Gegenfrage der Bedienung. 2.o ist in Deutschland eine weit verbreitete Standardgrösse für Getränke. In der Schweiz trinkt man meist 3.3 dl. Ob man wohl in Deuschland weniger durstig ist oder ob sich deutsche Gastrobetriebe dadurch erhoffen, dass man gleich zwei davon bestellt?

In Bezug auf das Design kann Schweizer Wasser nicht mithalten, zumindest mit Selters nicht. Der einzige - mir bekannte - originelle Coup in Sachen Flaschendesign gelang Limelite von "Valser"-Wasser. Inzwischen kommen aber viele Flaschen bloss noch als PET-Hülle daher und "Valser" hat seine Seele der durstigen Coca Cola-Company verkauft. Wasser soll ja das blaue Gold der Zukunft sein. Die Schweiz setzt aber scheinbar weiterhin auf traditionelle nationale Werte wie enorme Goldvorräte in den Banktresoren und lässt helvetische Wasserressourcen allmählich in die Hände des korporatisitischen US-Imperialismus fallen. Wenn es im Alpenstaat irgendwann billiger sein wird, auf harte Goldbarren zu beissen als das Wasser aus der Quelle nebenan zu erwerben, dann wird vielleicht immerhin Selters als blaues Wasserflaschenwunder aus dem nördlichen Nachbarland noch etwas wässrige Hoffnung versprühen.

Züri-Berlin über Berlin-Princeton

Video-Blog 3:



Züri-Berlin
hat - mit der simpelsten Blog-Technik überhaupt - Berlin aus austauschstudentischer und radikal subjektiver Sicht beschrieben. Gar nicht so grundsätzlich anders - aber technisch um einiges progressiver - ist das Konzept von Cornelius Reiber, den ich in Berlin flüchtig kennen gelernt habe. Im Spätsommer ist Cornelius nämlich zu akademischen Weiterbildungszwecken von Berlin nach Princeton übergesiedelt, was allerdings fast durch fehlendes Benzin ins Wasser, oder viel mehr in den grossen atlantischen Teich, gefallen wäre. Dies und auch weniger Dramatisches berichtete Cornelius neulich in seinem ersten Vlog-Beitrag (analog zur neuzeitlichen etymologischen Entwicklung des Wortes Weblog zu Blog wurde auch Video-Blog zu Vlog) dem interessierten Berliner Publikum. Im Moment noch hier auf YouTube - bald aber unter United-States-of-Cornelius.de - findet man die bewegten Bilder und kulturanalytischen Worte über soziale Interaktionen von Undergraduates an einer amerikanischen Eliteuniversität, über neogotische Bauten, Schuhe ausziehende Speisesäle und übel riechende Unterkünfte. Vielleicht wird es bald mal etwas über den frisch gebackenen Professor Joschka Fischer zu berichten geben oder Investigatives über Thomas Manns Zeit an derselben Universität.
Cornelius' Vlog von der Princeton University aus, wo er am German Department der renommierten Hochschule tätig ist, ist nicht sein erster digital-audiovisueller Auftritt. In einem legendären Vorstellungsvideo mimte er bestechend den arroganten Regisseur. Als Kameramann scheint er hingegen dänischen Dogmen verpflichtet zu sein, was der Authentizität wiederum förderlich ist. Züri-Berlin wartet gespannt auf weitere Episoden aus den cornelianischen Vereinigten Staaten.

Bild: eigene "Collage" inkl. Porträt von hier

Genie und Wahnsinn II

Video-Blog 2:

Die offenbar ganz tolle Ausstellung über Melancholie, Genie und Wahnsinn in der Neuen Nationalgalerie in Berlin habe ich ja schändlicherweise verpasst. Obwohl sie mir noch in Zürich von professoraler Seite empfohlen worden war. Zudem beschrieb Züri-Berlin neulich die deutsche Hauptstadt als eine ebenso geniale wie wahnsinnige Stadt. Auf der Suche nach Toni Mahonis Parodie auf Angela Merkels Video-Blog stiess ich zufällig auf seine gefilmten Ausführungen in breitem Berlinerisch darüber, wie er versucht hat, über den Wahnsinn zum Genie zu werden. Wahnsinnig köstlich, dieser Beitrag. Oder einfach nur genial?

Donnerstag, Oktober 26, 2006

Merkel im Alltag

Das läuft unter politische Kommunikation in den Massenmedien: die Auseinandersetzung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Boulevard-Blatt Berliner Kurier (irgendwann letzten Sommer):
Berliner Hausfrau entsetzt: Hilfe, ich sehe aus wie die Merkel - Dabei findet Frau Lampe die Kanzlerin schrecklich und ihre Politik unsozial.
Wenn ich nicht idealistischerweise grosse Stücke auf die Funktion populärer Massenmedien für politische Meinungsbildung halten würde, könnten mich solche Titelgeschichten schon fast herzhaft amüsieren. Allerdings kann ich ja mit seriöser Berichterstattung über deutsche Politik und die Bundeskanzlerin auch nicht gerade auftrumpfen: Döner-Merkel und Berlin im Wahlfieber.

Nicht nur für Titelgeschichten von Boulevard-Zeitungen ist Frau Merkel bzw. ihre Doppelgängerin gefundenes Fressen, sondern sie muss auch als pop-artige Ersatz-Jalousie ihren Kopf hinhalten und sich zu kabarettistischen Zwecken hinter Gittern verstecken:

Das Hauptstadtblog wies auf eine unorthodoxe Möglichkeit hin, unerwünschte Blicke abzuschirmen. Mir scheint, dass eine Frau Merkel als Popikone stattdessen eher Blicke auf sich ziehen wird.





Freiheit für Angela! - Unschuldig im Kanzler-Knast? Kabarett aus einer deutschen Stammzelle.

Kabarett-Ankündigung gesehen und fotografiert in Stralsund: Frau Merkels Heimatstadt an der Ostsee, die George W. Bush dieses Jahr besucht hat. Den Protest dagegen haben einige Hauswände in Stralsund (hier an der Judenstraße) und sogar in Berlin wohl oder übel entgegengenommen.






Video-Blog 1:

Eine Pionierin in Sachen politische Kommunikation ist Frau Merkel mit ihrem Video-Blog allemal. Per Video-Podcast wendet sich die Bundeskanzlerin ungefiltert durch journalistische Berichterstattung seit diesem Frühjahr regelmässig an das deutsche Volk. Zur Belustigung der bisherigen Video-Blogger-Gemeinde wie z.B. Toni Mahoni vom tonangebenden und tatsächlich sehr empfehlenswerten Blog Spreeblick, der die Video-Blogosphäre mit einer der vielen Parodien beglückte.
Der aktuelle Schweizer Bundespräsident Moritz Leuenberger ist zwar bekannt für seine manchmal etwas intellektuell geratenen Reden, die auch in Buchform erschienen sind. Das (Video-) Bloggen scheint Herr Leuenberger aber noch nicht für sich entdeckt zu haben, obwohl er sich manchmal explizit über die verzerrte Darstellung von Fakten in den Medien beklagt. Frau Merkel hat Leuenberger durch ihre Direktkommunikation via Video-Blog somit einiges voraus.

Montag, Oktober 23, 2006

Hintergründe zur Züri-Berlin-Streetart

TIKA heisst die grossartige streetartige Person, die mit grosser Wahrscheinlichkeit für die Visualisierung von Züri-Berlin verantwortlich ist. Auch dieses Bild in Berlin ist unverkennbar im Stil von TIKA.

TIKA ist Teil der TGS CREW. Ein fleissiger Züri-Berlin- Leser hat Vorrecherchen angestellt und der Züri-Berlin- Bloggerin freundlicherweise Hinweise gegeben. Nach kleinen Umwegen haben die Nachforschungen ergeben, dass die TGS CREW ein hauptsächlich in Zürich ansässiges Streetart-Kollektiv ist, bestehend aus TIKA, M8, KALE und ENTA. Die Crew scheint vor allem im Jahr 2004 eine gewisse Zeit in Berlin verbracht zu haben.

Wofür TGS steht, bleibt noch unklar. Google spuckt für die Abkürzung jedenfalls Erstaunliches aus: Triple-Genetics-Service TGS produziert zum Beispiel Spermadosen von Stieren in Selzach (Kanton Solothurn). TGS steht auch für TGS Technologie- und Gründerzentrum Spreeknie in Berlin und für eine Firma, die 3D-Simulationen anbietet.
Ich halte es für möglich, dass TGS eigentlich für Tags steht. Des schönen sonnigen Tags in Zürich. Nein, nicht dafür. Auch nicht für Tags im Internet, die für digitale Ordnung sorgen sollen (viele Blogs zum Beispiel, die nicht ganz so simpel gestrickt sind wie jene von Blogger.com, arbeiten sehr erfolgreich mit Tags). Nein, ich meine Tags aus dem Graffiti- & Sprayerbereich.

Vielleicht irre ich mich auch ganz und gar und werde eines schönen Tages in Sachen TGS ganz aufgeklärt. Auf jeden Fall werde ich in Zukunft in Zürich meine Augen gut öffnen, wenn ich durch die Stadt wandle oder radle. Da und dort - und auch in diversen anderen Städten - markiert die TGS CREW ihre Präsenz, wenn man achtsam genug ist. Dies verrät das entsprechende Flickr-Profil, wo unzählige weitere Streetart-Kreationen aus dem Hause TGS zu finden sind (wie auch dieses TGS-Bild in Zürich - wahrscheinlich an der Hardturmstrasse). Auf MySpace bewegt sich TIKA ebenso (Vorsicht: Musik!). Um dort allerdings vollständigen Zugang zu haben, müsste man sich selbst der MySpace-Gemeinde anschliessen, aus der ich mich bisher herausgehalten habe, um mich selbst vor noch mehr Web 2.0 und uferloser sozialer Interaktion im Internet zu schützen.

Weitere Hinweise über die TGS CREW und TIKA im Speziellen sind sehr erwünscht. Streetart im TIKA-Stil wäre aus meiner Sicht jedenfalls eine gute Alternative zu einer weiteren Flut von Werbeplakaten. Denn ganz so schmucklos wie Ostberlin zu DDR-Zeiten muss eine Stadt ja auch nicht sein.

Sonntag, Oktober 22, 2006

Sprechende Nummernschilder



Deutsche Nummernschilder haben mich seit jeher fasziniert, weil sie die Fantasie weitaus mehr anregen als Schweizer Autonummern. Ich freute mich jeweils, wenn ich auf dem Weg zur Schule ein deutsches Auto sah, dessen Nummernschild eine geheime Botschaft enthielt. In Berlin gibt es einige B:IG, B:ED, B:UG und ein schöner blauer VW-Bus fährt sinnigerweise mit einem B:US - Schild durch die Welt. Damit man auch weiss, mit wem man es zu tun hat. Ob dieses Auto mit der Nummer F:OU 999 (das jeweils vor der Böse Buben Bar in der Nähe des Berliner Schiffbauerdamms geparkt war) auch darauf hinweisen möchte, mit wem man es zu tun hat, bleibe dahingestellt. Vielleicht ist es ja auch nur ein verkappter Französisch-Test.

Das internationale Nummernschildmuseum südlich von Chemintz besitzt eine schöne Sammlung mit poetischen deutschen Autonummern.

Wer sich mit Zahlenmagie und Numerologie auskennt, mag auch mit Schweizer Autonummern etwas anfangen können. Als Kinder fürchteten wir uns jeweils vor drei Sechsen hintereinander (ich bin bis heute zu abergläubisch, um sie hier hintereinander aufzuschreiben), weil dies als unglücksbringende Hexenzahl verschrien war. Ansonsten freue ich mich auch immer mal wieder über eine gewisse Zahlenästhetik, die auch auf Schweizer Nummernschilder manchmal zu finden ist. Schade ist aber dennoch, dass sich Schilder mit ZH auch mit der schönsten darauf folgenden Zahl nicht richtig poetisch entfalten können. Immerhin machten wir uns mal noch den Spass, uns zu den einzelnen kantonalen Abkürzungen etwas einfallen zu lassen. So hiess z.B. AG (Kanton Aargau) "Achtung, Gefahr!". Und ZH (Kanton Zürich) stand für "Zum Heulen". Bei diesen kläglichen Zuständen könnten sich die geschätzten Schweizer Strassenverkehrsämter immerhin so etwas einfallen lassen wie in Nordamerika. Da kann man sich wenigstens mit den Slogans der Licence Plates kanadischer Provinzen oder amerikanischer Bundesstaaten amüsieren:

romantisierende wie "Québec - je me souviens", einfach treffende wie "Beautiful British Columbia" oder beinahe furchterregende wie "New Hampshire - Live Free or Die".

Dienstag, Oktober 17, 2006

Züri-Berlin empfiehlt: Die Verwandlung

Züri-Berlin verwandelt sich für diesen Eintrag zu einem Internet- Video- Programm- Tipp- Blog und präsentiert auf Empfehlung der unterzeichnenden Bloggerin zwei beeindruckende Verwandlungsfilme.

Dieses Video habe ich mir diesen Sommer in Berlin einige Male angesehen. Die Idee, während drei Jahren täglich ein Foto von sich zu machen und das zu einem Film zusammenzufügen, ist zwar simpel. Das Experiment aber auch tatsächlich durchzuführen fordert hingegen Disziplin, und das Resultat ist bemerkenswert. Die Künstlerin heisst Ahree Lee.


Diesen Film fand ich - zurück in Zürich - bei danah boyd. Dass Photoshop und professionelles Makeup insbesondere weiblichen Schönheitskomplexen förderlich sein können, ist keine besonders überraschende Erkenntnis. Dieser - erstaunlicherweise zu Promotionzwecken gedrehte Film - verwandelt die zu langweilen beginnende Erkenntnis gekonnt zu einer aufrüttelnden Gewissheit.

Donnerstag, Oktober 12, 2006

Berliner und Zürcher Grenzbereiche

In einem Beitrag über den Film Herr Lehmann erwähnte ich vor einigen Monaten das Café im Grenzbereich beim Schlesischen Tor. Das Café gab es schon zu Mauerzeiten. Es lag gerade noch knapp in Westberlin, bloss wenige dutzend Meter von der innerdeutschen Grenze entfernt. Herr Lehman spaziert im Film zweimal denselben Abschnitt der Falckensteinstraße entlang und an besagtem Café vorbei. Das fällt allerdings nur auf, wenn man sich den Film mehrmals anschaut und die Ecke kennt. Im Film hat dies die Funktion, die Geschichte im äussersten Winkel von West-Berlin kurz vor dem Mauerfall zu verorten.
Da "Café im Grenzbreich" einer der häufigeren Suchbegriffe ist, wie wildfremde Menschen zu Züri-Berlin finden, soll nun doch endlich ein Foto aus dem frühen Sommer hier seinen Speicherplatz finden, wenn ich mich schon durch die ungeheuren Massen digitaler Berlin-Erinnerungen wühle.

Zürich kennt weniger Grenzen als Berlin. Wenn man es jedoch genau nimmt, bin auch ich im Zürcher Grenzbereich aufgewachsen. Mein Heimatquartier Zürich- Wollishofen befindet sie an der Stadtgrenze.

"Stadtgrenze" nennt auch die VBZ (die Zürcher BVG) die betreffende Haltestelle der grenzüberschreitenden Buslinien 161 und 165.

Montag, Oktober 09, 2006

Geniales, wahnsinniges Berlin

Nachgelieferter Beitrag # 2:

Geniestreiche, Kreativität, viel Raum für Ideen. Und gleichzeitig sehr viel Wahnsinn.
Das ist Berlin.

Ausstellung Mustermesse 2: Rohstoff Kreativität

Café, Bar und Theater Zebrano an der Sonntagstr. in F'hain: "Förderverein Genie und Wahnsinn"

wahnsinniges Geschäft in Berlin-Mitte: Waahnsinn

zu vermietendes Lokal in F'hain: Raum für Ihre Ideen

Fahrrad-Berlin / Fuss-Zürich

In Berlin befinden sich Menschen, die sich auf zwei Rädern mit Pedalen fortbewegen *, in Bezug auf zu Fuss Gehende ** eindeutig in einer hegemonialen Stellung. Kaum ein Besuch aus Zürich konnte ich dort vor blitzschnell und gefährlich Radfahrenden *** genügend warnen. Diese brausen auf dem für ungeübte Augen nicht erkennbaren Fahrradweg auf dem Gehsteig vorbei und drohen unwissentlich im Weg Stehende um ein Haar zu überfahren. Statt den knapp der Lebensgefahr Entronnenen Entschuldigungen zuzurufen, bekommen sie nur Anschuldigungen zu hören.

In Zürich sieht das anders aus, wie ich am Sonntag feststellte. Ich hatte bei strahlendem Herbstwetter Joggingschuhe angeschnallt und rannte dem See entlang zum Bahnhof Stadelhofen, um dort mein zurückgebliebenes grasgrünes Velo mit Übernamen Heugümper **** abzuholen. Im Gegensatz zu sportlichen Ausflügen mit Joggingschuhen dem Berliner Spreeufer entlang bis zur idyllischen "Insel der Jugend" im Treptower Park strömen an sonnendurchfluteten Sonntagen entlang des Zürcher Seeufers massenweise Spaziergänger, Ausflüglerinnen und Kinderwagen und man muss sich richtiggehend einen Weg bahnen. Noch schlimmer ist es mit dem Velo. Auf den auffällig gelb markierten Velowegen tummeln sich im Schneckentempo Schlendernde und auch Veloglocken verfehlen unter Umständen ihren Sinn und Zweck, die Menschenmasse von den Radwegen zu vertreiben, um sich Durchfahrt zu verschaffen.
Das Spreeufer beim Treptower Park bietet zwar ganz nette Aussichten. Einem Vergleich mit den leicht schneebedeckten Alpen am Horizont des Zürichsees hält es allerdings doch nicht stand. Mit breiteren Strassen und Joggingwegen und allgemein mehr Platz als in Zürich wird sich Berlin aber auf alle Ewigkeit rühmen können.

* so sehen Hilfskonstruktionen aus, die versuchen optische Grässlichkeiten wie Fahrradfahrerinnen und –fahrer/Velofahrerinnen und –fahrer zu vermeiden

** noch eine Hilfskonstruktion, um Fussgängerinnen und Fussgänger zu umgehen

*** eine einigermassen akzeptable Hilfskonstruktion, wie ich finde

**** Standarddeutsch: Grashüpfer

Wie Deutsche über die Schweiz denken

Die hier bereits erwähnte und liebenswerte Blogwiese besprach neuerdings das Schweizerbild der Deutschen. Dieses reicht von überwiegend positiv bis offenbar so stark ablehnend, dass ein Deutscher die Schweiz auf der Durchreise in die Provence gezielt umfährt.
Könnte da nicht vielleicht auch die unliebsam teure Schweizer Autobahn-Vignette ein zusätzlicher Grund sein, obwohl Ebay diese inzwischen ab 1 € versteigert?

Schweizerinnen und Schweizer sind in den Augen vieler Deutscher "süss und niedlich" (=schweizerdeutsch: jöö), "reich" und werden andererseits der "Rosinenpickerei" bezichtigt. Dieser Vorwurf ist in Bezug auf die tatsächlich eher abschottende Schweizer Europa-Politik ja nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Für manche ist die Schweiz "Ort der Geldwäscherei" oder der Verwahrungsort schmutziger Gelder aus Schurkenstaaten unter dem Deckmantel "Bankgeheimnis". Auch da mag einiges dran sein. Ich wüsste allerdings gerne mal, wie viele Deutsche auch ein Schweizer Bankkonto besitzen und damit den deutschen Staat um dringend nötige Einnahmequellen bringen.

Marke Schweiz in Berlin

Nachgelieferter Beitrag #1:

Die Corporate Identity-Verantwortlichen der Schweiz dürfen stolz sein: die Popularität der Marke Schweiz ist auf einem Höchststand. Patriotismus wird zwar in bestimmten Kreisen noch immer ziemlich beargwöhnt. Der Trend geht aber eindeutig in Richtung unverkrampften Umgang mit dem Schweizerkreuz.
Es sind in Berlin oft noch nicht mal Schweizerinnen und Schweizer, die mit einem roten T-Shirt mit Kreuz auftreten, aus einem rot-weissen Portmonee (man gewöhnt sich an alles, vielleicht auch irgendwann an solche seltsamen Schreibweisen) bezahlen oder die sich einen kultigen Bag aus Schweizer Militärdecken umhängen.


Auch Modeläden an der trendigen Schlesischen Straße stellen künstliche Leopardenmäntel aus, die wohl mit Schweizmotiv gefüttert Wärme spenden sollen.









Die Aussenbar beim Nola's am Weinberg, dem Schweizer Restaurant beim Zionskirchplatz, schmückt sich grosszügig mit Flaggen (bei schlechtem Wetter ist das Holzhüüsli allerdings verbarrikadiert).




Beim Ostkreuz in Friedrichshain wirbt eine Fahrschule mit Schweizer Flagge für ihren "Erste Hilfe Kurs", was sich die häufige medizinische Assoziation des in der Regel eher roten Kreuzes auf weissem Hintergrund zunutze macht.




Dasselbe gilt wohl auch für dieses Bild aus einer Berliner U-Bahn. (Foto: Simon Brühlmann)








Und schliesslich widmen sich auch wuchtige Fotografinnen der eigensinnig quadratischen Flagge, die sich auf der der deutschen Bundeskanzlerin am nächsten stehenden Botschaft befindet (Foto: Flickr/Die Wucht).

Mauer damals - Mauern heute

Die Berliner Mauer ist nach wie vor die bekannteste ihrer Art, obwohl die Überreste nun bloss noch zu Gedenkzwecken und zur billigen (allerdings nicht erlaubten) Souvenirbeschaffung genutzt wird.
Im Gedenken der damaligen Mauertoten, der Schicksale getrennter Familien und weiterer schauderhafter Vorfälle, die der Mauer geschuldet sind, wird immer wieder ausgeblendet, dass andernorts auch Mauern stehen, wo sich jetzt das ereignet, was man in Bezug auf die deutsche Vergangenheit beklagt:

Zum Beispiel die Mauer zwischen Israel und der Westbank und jene zwischen Mexiko und den USA. Im Grunde fehlt ja nicht mehr viel, bis die Blocher-Schweiz eine grosse Mauer der europäischen Isolation um ihr Territorium aufgebaut hat, wie auch Rafael vom Gedankenbörsenblog kommentiert.

via: eDemokratie, ein ohnehin empfehlenswertes Blog

Donnerstag, Oktober 05, 2006

Back in Zurich, remembering Berlin

Nun bin ich wieder weg aus dem schönen Wrangel-Kiez in Berlin-Kreuzberg, wo heldenhafte Musiker, BILDblogger und zentral Intelligente einfach so mal neben einem die Strasse überqueren, wo Michaels von der Heide anzutreffen sind und Soup Chefs aus bestimmten TV-Serien mit ihrem Boyfriend nebenan im Stammcafé „MIR“ frühstücken.

Ich bin zurück in der Little Big City oder - wie sich das liebe Zürich neuerdings vermarktet - in Downtown Switzerland. Zurück im kleinen Land, wo ich plötzlich wieder von einer mit vielen intensiven -ch–Lauten durchsetzten Sprache umgeben bin, wo Fünfliber, Münz und Franken-Banknoten statt Euro-Geldscheinen und Kleingeld über den Ladentisch gehen, wo alte Raddampfer über einen See mitten in der Stadt fahren, wo es wieder Migros gibt, in der ich mich nach dem Einkauf mit "Ufwiderseh" verabschieden sollte und nicht mit "Tschüss" wie bei Kaiser’s in Berlin, wo man nicht sorglos irgendwo für 4 Euro inklusive Milchkaffee frühstücken geht (weil der Milchkaffee alleine schon 5 Franken kostet), wo die DB SBB und Rhätische Bahn heisst, die einen in knapp zwei Stunden aus der kleinen Grossstadt ins Herz der Alpen katapultiert. Dort habe ich mal wieder bemerkt, was es bedeutet, nicht nur immer auf flachen Strassen geradeaus zu gehen, habe den Klang von Kuhglocken wiedererkannt, den Duft des Stuhlgangs derselben Nutztiere mit Eutern und den etwas angenehmeren Duft von Bergluft und Heu mal wieder gerochen. Und als ich plötzlich von wildfremden Menschen nett gegrüsst wurde, erinnerte ich mich schlagartig wieder, dass man das ja in den Bergen so macht.

Die Rückkehr in angestammte Gefilde bedeutet auch Abschied von Erasmus, dem Schutzpatron erlebnisreicher Uni-Semester. Neuen Pflichten warten nach einem Semester lang interessante Vorlesungen, Seminare, Ausstellungen und Konferenzen besuchen, Blog-Einträge schreiben, spannende Leute treffen und Berlin-Führungen machen.

Ab und zu wird hier immer mal wieder ein Eintrag zu finden sein (Entziehungskuren sollten ja schrittweise und nicht radikal erfolgen), besonders solange noch ein paar Entwürfe darauf warten, überarbeitet oder mit Fotos bestückt zu werden, bevor sie dann endlich mal aufgeschaltet werden. Ansonsten wird wohl Züri-Berlin (nach dem Abtragen der Blog-Pendenzen) von einer gewissen sporadischen Spärlichkeit heimgesucht werden.

Gänzlich vor kultureller Prominenz ist man übrigens auch in Zürich-Wollishofen nicht geschützt. Da setzt sich gestern plötzlich Ruth Schweikert an denselben Tisch in der Roten Fabrik und erzählt der Runde, wie sie mal unverhofft mit alten Rockertypen in Wien Geburtstag gefeiert hat und erst im Laufe des Abends erfahren hat, dass die Alt-Rocker EAV-Bandmitglieder waren.

Die ausgedehnte Reise Berlin-Züri

Dass Berlin eine besondere Stadt ist, wusste ich ja längst. Wie wenig repräsentativ die deutsche Hauptstadt aber für ihr Land ist, machte ich mir erst während der mehrtägigen Rückreise von Berlin nach Zürich über Weimar und Köln so richtig bewusst.
Nach sechs Monaten flacher Grossstadt und Kulturmetropole in Umbruchstimmung boten mir die deutschen Landen auf meinem ausgedehnten Schlenker in den Westen noch ein paar andere Einblicke in ihr Innerstes.

Nach Weimar hatte mich mein idealisierendes Bild der Goldenen Zwanziger in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik geführt und die Tatsache, dass Weimar 1999 Kulturhauptstadt Europas war. Verglichen mit Berlin entpuppte sich Weimar allerdings als Kulturstadt der anderen Sorte: Weimar verkörpert Klassik und Tradition, Berlin kultiviert Aufbruch und experimentelle Kreativität. Das ganze Städtchen kann man zudem in Kürze zu Fuss durchqueren, was nach 6 Monaten Berlin ein sagenhaftes Gefühl ist. Dennoch etwas Berlin-haft mutet hingegen die hinreissende Fotothek (Fachgeschäft für vergessene Privatfotografien) an, die auf dem Weg vom Bahnhof Weimar zum speziell gemütlichen Hostel Hababusch meinen Weg kreuzte. Ansonsten lastet gerade im literarischen Bereich mit Goethe und Schiller ein schweres Erbe auf der Stadt, an dem sich Lokalpatrioten in der Du-Zone (umringt von einer Bierdeckelgalerie) poetisch abarbeiten. Der Kulturbetrieb ACC und der Bauhaus-Spaziergang boten eine angenehme Atmosphäre inmitten von touristischen Heerscharen, die vom Wohnhaus Schillers in Goethes Wohnhaus strömen. Besonders aufgefallen sind mir in der Kleinstadt natürlich im Vergleich zum vielstöckigen Berlin die geradezu niedrig scheinenden Häuser und deren Grad an Herausgeputztheit. Obwohl auch Weimar zaghaft gestreut Streetart wie in Kreuzberg zu bieten hat, sind Weimarer Hausfassaden eher mit offiziellen literarischen Zitaten verschnörkelt.

In Köln schaffte ich bei goldenem Abendlicht nach diversen Verspätungen der DB und einem verpassten Anschlusszug gerade noch die gut 500 Treppenstufen des Kölner Doms und die Altstadt. Glücklicherweise erhielt ich noch das letzte Bett in der grossen Jugendherberge, die nahe dem Veranstaltungsort der grossen internationalen Fotomesse Photokina steht. Auch Köln hat mit Berlin wenig Gemeinsamkeiten (sieht man mal von der durch den Grossstadtcharakter gegebenen gesellschaftlichen Offenheit ab): Köln hat ein eindeutiges und zu Fuss touristisch fassbares Stadtzentrum und einen gut erschlossenen, längst etablierten Hauptbahnhof. Auf dem Kölner Rhein fahren gar Lastschiffe, während auf der Berliner Spree praktisch nur touristisch genutzte Schiffe Stadtrundfahrten bieten.

Was ich von Bonn bei der Durchfahrt erhaschen konnte, war nicht gerade das, was ich mir unter einer ehemaligen Hauptstadt vorgestellt hatte. Das könnte man bei Bern auf den ersten Blick hingegen auch denken.
Die wundersame Strecke zwischen Köln und Mainz wurde mir durch den grösseren Umweg gleich zweimal zuteil. Erstaunlich, wie sich dort viele hübsche kleine Städtchen an bewaldet-felsige Hügel schmiegen. Erstaunlich, überhaupt mal wieder grössere Wälder und Hügel zu sehen. Und niedrige, frei stehende Häuser. Wunderbare alte Schlösschen und Burgen blickten alle paar Minuten durch das Zugfenster in mein Abteil und winkten mir zu, wenn ich mich nicht getäuscht habe.
Fast im Handumdrehen erreichte ich schliesslich „Zürich HB“ im Land der originalen Schweiz. Das Land mit den insgesamt 67 Imitationsschweizen (die Sächsische Schweiz und die Märkische Schweiz sind nur zwei davon) liegt nun unverschiebbar nördlich von mir.